Es begann mit einer bewaffneten Entführung vor einer Woche und sollte mit der Verhaftung des mutmasslichen Täters Kevin W.* (†38) in Wallisellen ZH enden. Doch am Mittwochabend kommt alles anders: Als die Kantonspolizei Zürich am Wohnort von Kevin W. ausrückte, zückte der Deutsche eine Waffe, drückt ab und trifft seine Freundin Maria S.* (†28). «Darauf kam es zu einem Schusswaffeneinsatz der Polizei», heisst es später in der Mitteilung der Kantonspolizei Zürich.
Kevin W. und Maria S. sterben noch vor Ort. Blick trifft die Mutter von Kevin W. am Freitag am Wohnort des Verstorbenen. Zu diesem Zeitpunkt weiss sie noch gar nicht, dass ihr Sohn tot ist. «Ich bin so schockiert, ich kann nicht einmal heulen», sagt sie fassungslos. Doch eine Ahnung hatte sie: Als sie in deutschen Medien von dem Drama las, fuhr sie gemeinsam mit ihrem Bruder, dem Onkel von Kevin W., aus Deutschland sofort in die Schweiz.
Mutter von Kevin W. fassungslos
«Seit zwei Tagen erreiche ich meinen Sohn nicht», erklärt sie am Freitag. Eine Nachricht, dass ihr Sohn bei dem Schusswechsel ums Leben gekommen sein soll, hat sie nach eigenen Aussagen bis zu diesem Zeitpunkt nicht erhalten. Die Kantonspolizei Zürich sagt später dazu auf Anfrage von Blick: «Wie in solchen Fällen üblich, wurde die Benachrichtigung der in Deutschland lebenden Mutter am frühen Donnerstagnachmittag über die deutschen Behörden veranlasst. Warum dieser Auftrag nicht ausgeführt wurde, entzieht sich unserer Kenntnis. Zwischenzeitlich wurde die Mutter durch die Kantonspolizei Zürich direkt orientiert.»
Mutter und Sohn standen in regelmässigem Kontakt: «Er war jedes Wochenende bei uns in Deutschland. Auch letztes Wochenende haben wir uns noch gesehen», erzählt sie. «Mein Sohn ist alles, was ich habe. Er hat sich noch nie etwas zuschulden kommen lassen», ist sie sich sicher. Ihr graue es davor, die Grossmutter von Kevin W. über den Tod ihres Enkels zu informieren. «Meine Mutter ist alt. Diese Nachricht wird sie kaum überleben.»
Geschäftspartner von Kevin W. festgenommen
Aufmerksam auf Kevin W. wurde die Polizei, da er in der Woche zuvor einen Mann entführt und mit einer Schusswaffe bedroht haben soll. Allerdings wurde das Opfer noch am selben Abend freigelassen, der Ort und die Dauer der Entführung sind unbekannt. Laut dem «Tages-Anzeiger» handelt es sich beim Opfer um einen Experten des Bundes. Das Bezirksgericht Zürich untersagt die Namensnennung in einer superprovisorischen Verfügung.
Im Zusammenhang mit der Entführung wurde zudem eine weitere Person festgenommen, Jeremy A.* (34). Wie Recherchen vom «Tages-Anzeiger» ergeben, soll es sich dabei um den Geschäftspartner von Kevin W. handeln, mit dem er im Februar 2020 ein Unternehmen gegründet hat. Dieser Geschäftspartner sei ein Vertreter der Flat-Earth-Verschwörungstheorie, wonach die Erde eine Scheibe sei, und habe dazu öffentlich ein ausführliches Interview gegeben. Auf seinem Facebook-Profil verbreitete der Geschäftspartner zudem Corona-Verschwörungstheorien.
Gegenüber Blick bestätigt ein Bruder von Jeremy A., dass dieser tatsächlich daran glaube, dass die Erde flach sei und viel dazu recherchiert habe. Auf den sozialen Medien zeigt er sich naturverbunden, seine Posts zeugen von vielen Reisen. Wie der «Tages-Anzeiger» von einem weiterem Bruder von Jeremy A. weiss, befindet sich dieser tatsächlich in polizeilicher Gewahrsam.
Familie von Freundin versteht Entführungs-Geschichte nicht
Warum Kevin W. auf seine Freundin, Maria S., geschossen hat, ist ebenfalls noch unklar. Noch bevor die Staatsanwaltschaft am Freitag ihre Identität bestätigt, rechnet die Familie der jungen Frau allerdings mit dem Schlimmsten. Denn: Seit Mittwoch fehlte von ihr jede Spur. Ihr Stiefvater und die Halbschwester konnten sie nicht mehr erreichen. Am frühen Donnerstagnachmittag wurde dann die leibliche Familie von der Polizei über den Vorfall informiert.
Die Familie von Maria S. wusste um das Waffen-Hobby von Kevin W., stellte aber klar: «Ja, er hatte einige Schusswaffen, aber alles legal, mit Waffenschein und korrekt aufbewahrt in einem Waffenschrank.» Auf die Geschichte mit der Entführung können sich die Angehörigen von Maria S. keinen Reim machen. «Das passt irgendwie alles gar nicht zu Kevin.» Und auch die Staatsanwaltschaft steht mit ihren Ermittlungen noch ganz am Anfang.
Die Mutter von Maria S. stand in schriftlichem Kontakt mit Blick. Auch sie wurde über den Fall nicht gänzlich aufgeklärt, konkrete Informationen zum Tod ihrer Tochter fehlen. «Ich werde alles unternehmen, um herauszufinden, was wirklich passiert ist.»
* Namen geändert