Er kletterte auf einen Kran auf einer Baustelle in Zürich-Oerlikon und kam einfach nicht mehr herunter. Ein Portugiese (34) verschanzte sich am Montagabend in luftiger Höhe und legte immer wieder Brände. Polizei und Feuerwehr rückten mit einem Grossaufgebot aus. Das Gebiet wurde weiträumig abgesperrt. 16 Stunden hielt der Mann die Einsatzkräfte auf Trab. Dann endlich gab er auf. Er konnte überzeugt werden, den Kran zu verlassen.
Aber wie genau laufen solche Gespräche ab? Das weiss Polizeipsychologe Christian Weidkuhn (57) genau. Er arbeitete 20 Jahre bei der Kantonspolizei Graubünden, bevor er sich selbstständig machte und nun als freischaffender Polizeipsychologe und -ausbilder im In- und Ausland tätig ist.
Bevor der Verhandlungsführer mit der Person, die sich in einer solchen Krisensituation befindet, spricht, sei eine Sache besonders wichtig: Informationen – und zwar so viele wie möglich. «Es geht darum, sich ein Bild von der Person zu machen und dadurch schon ein mögliches Motiv in Erfahrung zu bringen», sagt Weidkuhn zu Blick. Vielleicht habe die Person Drogenprobleme, stecke in familiären Schwierigkeiten, wie zum Beispiel einer Trennung. «Es geht darum, die Person besser zu verstehen und kennenzulernen.»
«Die Person muss sich verstanden fühlen»
Erst dann könne Kontakt mit der Person aufgenommen werden. Mit dem Ziel: Erst einmal das Vertrauen zu gewinnen. Weidkuhn: «Das Gespräch beginnt in der Regel belang- und harmlos. Smalltalk eben. Dabei ist es wichtig, eine emotionale Ebene herzustellen. Gemeinsamkeiten zu finden.» Das könne alles Mögliche sein. Kinder, Hobbys, Haustiere. «Wenn er einen Hund hat, dann fragt man nach dem Namen und der Rasse. Die Person muss sich verstanden fühlen. Auf Augenhöhe. Keine Be- und Verurteilung.»
Dass eine Person sich vollkommen verschliesst und nicht für ein Gespräch bereit ist, komme so gut wie nie vor, so Weidkuhn. «Es gibt immer irgendwelche Ansatzpunkte, um mit der Person eine Vertrauensbasis aufzubauen. Dafür ist es aber eben auch wichtig, wenn im Vorfeld so viele Informationen wie möglich über die Person vorliegen.»
Erst, wenn eine Vertrauensbasis aufgebaut wurde, könne behutsam nach dem Motiv gefragt werden. Denn oftmals wüssten die Personen in einer Ausnahmesituation selber nicht einmal, warum sie das gerade machen. «Wenn man darüber spricht, hilft das schon oft, dass die Personen, die sich in einem solchen Ausnahmezustand befinden, wieder zu sich kommen. Das Denken ändert sich. Vom Panikmodus kommen sie langsam wieder in die Realität», erklärt der Polizeipsychologe.
«Die Kollegen haben Ausdauer gebraucht»
Anschliessend würde der Verhandlungsführer Perspektiven und Lösungen aufzeigen, wie es für die Person weitergehen kann. Welche Konsequenzen das Handeln in rechtlicher Sicht haben kann und welche weiteren Unterstützungsmassnahmen angeboten werden können.
Wichtig dabei: «Nicht in einem negativen Sinne. Personen, die sich in einem solchen Ausnahmezustand befinden, brauchen Halt und Sicherheit. Und wenn sie klar wissen, was auf sie zukommen kann, hilft das ihnen.»
Solche Einsätze können auch mal länger dauern. Wie in Oerlikon. «Der Einsatz in Zürich ging 16 Stunden. Die Kollegen haben Ausdauer gebraucht. Aber am Ende hat es sich gelohnt», so Weidkuhn.
Kran-Aktion hatte gesamtschweizerische Auswirkungen
Im Fall des Kran-Kletterers sind weiterhin viele Fragen offen. Allen voran das Motiv für die Aktion. Noch konnte der in Zürich wohnhafte Portugiese nicht befragt werden. «Er befindet sich weiterhin in medizinischer Obhut», sagt Michael Walker von der Stadtpolizei Zürich zu Blick. Welche Strafen ihm nun drohen, ist ebenfalls unklar. Im Raum stünden Brandstiftung, Sachbeschädigung und Körperverletzung, so Walker. Aber um konkrete Angaben zu machen, sei es noch zu früh.
Klar ist dagegen: Es kam zu Störungen bei der SBB. «Aufgrund des Vorfalls kam es zu mehreren Gleissperrungen sowie zu einem Totalunterbruch, während dem der Bahnhof Oerlikon nicht befahren werden konnte», sagt SBB-Sprecher Martin Meier zu Blick. Und weil die Ost-West-Achse betroffen war, habe der Vorfall auch gesamtschweizerische Auswirkungen gehabt.
Meier: «Während der mehrstündigen Dauer waren einige Hundert Züge betroffen, es kam zu Umleitungen, vorzeitigen Wendungen und Ausfällen.» Wie gross der Schaden ist, können die SBB keine Angaben machen.
Auch die Baufirma Marti AG kann nicht sagen, wie teuer sie die Kran-Aktion zu stehen kommt. Experten seien aber gerade dabei, die Schadenssumme zu ermitteln, erklärt Bereichsleiter Hochbau Richard Mader. Der betroffene Kran am Bahnhof Oerlikon wurde aber stark beschädigt und muss ersetzt werden.