Dicke Autos, leicht bekleidete Frauen – und Zähne fletschende Kampfhunde. Rottweiler, Pitbull und Co. müssen seit Jahren in zahlreichen Musikvideos das Gangster-Image ihrer Halter aufpolieren. Was man in den Clips aber nicht sieht:
Im Gegensatz zum AMG-Mercedes und dem Gucci-Gürtel brauchen die Hunde viel Aufmerksamkeit und Fachwissen. Kampfhunde sind trotzdem voll in Mode – und wachsen ihren Haltern immer wieder über den Kopf. Wohin das führen kann, zeigte sich vor gut einem Monat im englischen Essex: Die beiden American-Bullys eines erfolglosen Rappers bissen eine 68-jährige Grossmutter tot. Aber auch in der Schweiz sind die Auswirkungen des fragwürdigen Trends spürbar – in den Tierheimen.
Denn viele Halter wollen ihre aufwendigen Kampfhunde bald lieber wieder loswerden. Aber auch die Tierheime sind am Limit angekommen. «Die Plätze für grosse und gefährlich Hunde sind belegt», heisst es auf der Internetseite des Tierheims «Paradiesli» in Ennetmoos NW. Und weiter: «Wir werden von Abgabeanfragen überhäuft. Vor allem für Hunde, die bereits gebissen haben, oder verhaltensauffällig sind, kommen viele Anfragen.»
Die Verantwortlichen des Landtierheims «Paradiesli» sind verzweifelt, wie ein Besuch vor Ort zeigt. «Wir haben in der Schweiz ein Problem mit grossen gefährlichen Hunden, wie wir das noch nie hatten», sagt Klaus Odermatt (77), Stiftungsratspräsident des Paradiesli und ehemaliger Nidwaldner Kantonstierarzt. «Unglaublich viele Menschen holen sich Welpen von anspruchsvollen Hunderassen und sind mit der Aufgabe völlig überfordert. Die Tiere landen dann bei uns und sind kaum weiterzuvermitteln.»
Malinois aus Rumänien
Auch am Dienstag, als Blick in Ennetmoos zu Besuch ist, trifft eine Anfrage für einen grossen und gefährlichen Hund ein. Wie Tanja Siegwart (59) vom Paradiesli sagt, handelt es sich um einen typischen Fall. Ein Zürcher Geschäftsmann hatte im Dezember in Rumänien einen Malinois-Welpen von einer unseriösen Tierschutzorganisation gekauft. Zwei Monate später muss er zugeben, dass er dem Tier nicht gerecht wird und überfordert ist. Nachdem es sogar zu einer Beissattacke bei sich zu Hause gegen einen Freund kommt, sucht er jetzt eine Lösung für ihn.
Ein belgischer Schäfer Malinois ist ein äusserst cleverer und lebhafter Arbeitshund. Die Rasse gehört zu den besten Polizei- und Schutzhunden. Um sie zu halten, muss der Halter aber viel investieren. Wer fast keine Hundeerfahrung hat, und auch noch keine Zeit hat für Ausbildung, verursacht unwiederbringliche Verhaltensstörungen. Für das Tier ist das quasi ein Todesurteil.
Aggressionen gegen Jogger
Im Brief an das Tierheim beschwert sich der überforderte Mann, dass eine seiner Angestellten vor dem Hund solche Angst hat, dass sie sich nicht mehr ins Büro traut. Auch auf Jogger und Fahrräder reagiere der Hund aggressiv. Doch der Unternehmer wird für den neun Monate alten, unkastrierten Rüden nur sehr schwer einen Abgabeort finden. «Wir können sicher keinen Malinois mehr aufnehmen, wir haben schon zwei davon», sagt Tanja Siegwart. «Alle unsere Plätze für schwierige Verzichtstiere sind besetzt.»
Und warum versucht der Zürcher Hundehalter seinen Malinois im Kanton Nidwalden abzugeben? Ganz einfach, in Zürich selber hat er keine Chance, auch hier sind alle Plätze besetzt. Der Züricher Tierschutz bestätigt: «Wir haben keine freie Hundebox und bereits genug schwierige Hunde», sagt Rommy Los, Geschäftsleiter des Zürcher Tierschutzes. Auch er hat beobachtet, dass in den letzten zwei Jahren vermehrt für verhaltensauffällige Hunde mit Gefährdungspotential Plätze gesucht werden. Warum das so ist, ist nicht bekannt. Er sagt dazu: «Um die Gründe für die Zunahme zu finden, müsste man eine aussagekräftige Umfrage machen. Alles andere wäre reine Spekulation.»
Doppelte Belastung
Die schwierigen Hunde sind eine doppelte Belastung für die Tierheime. Los erklärt: «Sie brauchen deutlich länger bei der Vermittlung und blockieren so anderen Tieren den Platz. Zudem sind sie in der Betreuung aufgrund des Gefährdungspotenzials aufwendiger und müssen in der Regel einzeln gehalten und beschäftigt werden.»
Wäre es dann nicht das Beste für Tier und Mensch, diese Hunde einzuschläfern? «Solange eine realistische Chance besteht, dass der Hund an einen passenden Ort vermittelt werden kann, hat er Anrecht auf einen Platz bei uns. Nur wenn das Gefährdungsrisiko nicht zu verantworten ist, bleibt kein anderer Ausweg.»
Dieser Artikel wurde bereits im März 2024 veröffentlicht und aus aktuellem Anlass wieder publiziert.