Am Mittwochmittag braust Rekrut Martin Z.* (†19) mit seiner BMW F700 GS über die Autobahn A2. Er trägt schwere Militär-Motorradkleidung und ist schon seit anderthalb Stunden im gleissenden Sonnenlicht unterwegs. Z. ist einer von zehn Rekruten, die an diesem Tag eine militärische Verschiebung von Monte Ceneri TI nach Thun BE unternehmen. Sie absolvieren die Rekrutenschule in der Verkehrs- und Transport Schulen 47 (Kdo VT S 47) und lassen sich zum Verkehrssoldaten ausbilden. Aktuell befinden sie sich in der zehnten RS-Woche.
Auf der Höhe Buochs im Kanton Nidwalden kracht der Mann plötzlich in die Mittelleitplanke. Später versuchen Rettungskräfte der Ambulanz und der Rega ihn wiederzubeleben. Zwecklos. Der junge Rekrut verstirbt noch auf der Unfallstelle. Weshalb er plötzlich in die Leitplanke fuhr, ist nicht bekannt. Andere Fahrzeuge waren gemäss Armee nicht involviert. «Die Untersuchungen sind noch ganz am Anfang, werden aber so schnell wie möglich durchgeführt», sagt Fabian Kolly, Sprecher der Schweizer Militärjustiz auf Anfrage von Blick.
War es Sekundenschlaf?
Wie konnte das geschehen? Einer, der Erklärungen sucht und gemäss eigenen Angaben fündig geworden ist, ist Adrian M.* (42). Er hat einen Sohn in derselben Einheit der Verkehrs- und Transport Schulen 47. Adrian M. hat Angst. Und damit ist er nicht alleine – mehrere RS-Kameraden des verstorbenen Töff-Fahrers haben Angst.
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Denn auf dieser Fahrt habe es gemäss M. nicht nur eine gefährliche Situation gegeben. «Mehrere Kameraden meines Sohnes hatten auf derselben Fahrt eine Episode von Sekundenschlaf.» Die dicke Uniform, das monotone Surren des Töffs, der enge Helm. «Alles führt dazu, dass man sich eingelullt fühlt. Da nützen auch drei Pausen nichts mehr.» Auch, dass man – anders als im Auto – niemanden zum Reden habe, sei extrem gefährlich.
«Die bekommen niemals genug Schlaf!»
Die Eltern der Rekruten seien Sturm gelaufen beim Militär, weil viele Rekruten zu Hause dasselbe erzählten: zu wenig Schlaf, zu weite Fahrten, Sekundenschlaf. «Einer ist sogar während des Fahrens weggedriftet! Er konnte sich gerade noch halten», sagt M.
Die Erschöpfung der Rekruten sei eine direkte Folge des Schlafmangels, der sich durch die Truppe hindurchzieht. «Man sieht es an den Augenringen meines Sohnes. Die bekommen niemals genug Schlaf.»
Hinzu komme, dass kaum einer der jungen Töff-Fahrer den Motorrad-Führerausweis länger als fünf Wochen in der Tasche hatte. «Solch junge Rekruten auf eine solch anspruchsvolle Strecke durch den Gotthard-Tunnel zu schicken, finde ich verantwortungslos.»
«Kreuzchen sind so einfach zu manipulieren!»
Das bringt M. gleich zu seiner nächsten Kritik: die Ruhezeitkontrollen im Militär. Fahrerinnen und Fahrer müssen ihre Ruhezeiten und die Zeit am Steuer auf einer Karte mit Kreuzchen markieren. «Diese Kreuzchen, die man pro halbe Stunde Entspannung oder Schlaf hinkritzeln muss, sind so einfach zu manipulieren!», moniert der besorgte Vater. «Seit diesem Unfall leide ich an Albträumen. Bereits nächste Woche sollten die Rekruten denselben Weg wieder zurückfahren. Was, wenn meinem Sohn das Gleiche passiert?»
Gemäss M. hätte die Armee Lastwagen, um die Töffs zurück ins Tessin zu fahren. Die traumatisierten Rekruten könnten dann auf den Zug oder das Auto ausweichen. Ob das geschieht oder ob die jungen Männer wieder auf den Töff müssen, ist noch nicht bekannt.
Rückreise noch in Abklärung
Blick konfrontiert die Armee-Medienstelle mit den Vorwürfen. Sprecherin Delphine Schwab-Allemand sagt: «Die Verkehrs- und Transport Schulen 47 sind noch stark mit der Trauerarbeit beschäftigt.» Die Betreuung und Verarbeitung der Geschehnisse habe oberste Priorität. Die Armeeangehörigen würden zurzeit durch ein Care-Team betreut.
Die Rückfahrt sei weiterhin für die kommende Woche vorgesehen. Schwab-Allemand sagt jedoch: «Wann und wie und durch wen, ist zurzeit in Abklärung.» Die Lage werde laufend neu beurteilt.
Die Armeesprecherin betont zudem, dass Rekruten ohne zivilen Motorrad-Führerausweis in der Armee eine Grundausbildung auf dem Motorrad durch zivile Fahrlehrer erhalten. Im Anschluss werden sie durch zivil anerkannte Prüfungsexperten geprüft.
Für die Fahrstrecke zwischen Monte Ceneri und Thun sei mit einer Fahrtdauer von durchschnittlich 3 Stunden zu rechnen. «Während der Verschiebung werden zusätzlich zwei befohlene Pausen von mindestens 30 Minuten durchgeführt», erklärt Schwab-Allemand. Die Pausen würden jeweils nach einer Stunde Fahrzeit absolviert. «Somit fahren die Rekruten jeweils rund eine Stunde am Stück», sagt sie. Der Unfallhergang werde nun durch die Militärjustiz untersucht.
* Namen geändert