Sind sie noch zusammen oder nicht? Diese Frage hat die Luzerner Asyl- und Sozialbehörden über Jahre umgetrieben. Hintergrund ist der folgende: Zeruel Hadishyon wird in Eritrea geboren. Er arbeitet dort als Lehrer, heiratet seine Frau Senaitom und bekommt einen Sohn. Als dieser drei Jahre alt ist, flieht Hadishyon 2007 in die Schweiz. Ohne seine Familie.
Sein Asylgesuch wird bewilligt. Gemäss Bundesrat werden in Eritrea beispielsweise Dienstverweigerer ohne Gerichtsverfahren von Militärkommandanten willkürlich bestraft und teilweise gefoltert.
Vorgetäuschte Trennung?
2011 kommen seine Frau und sein inzwischen sechsjähriger Sohn als Familiennachzug in die Schweiz. Das Paar – das eigentlich anders heisst – bekommt drei weitere Kinder. 2016 bricht die Beziehung offiziell auseinander.
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Zeruel Hadishyon zieht aus, seine Frau Senaitom stellt beim Bezirksgericht ein Trennungsbegehren. Noch während das Verfahren läuft, meldet die zuständige Sozialarbeiterin dem Gericht aber, dass der Ehemann «auffallend viel Zeit» bei der Familie verbringe und die Frau wieder schwanger sei von ihm.
Ob sie sich wieder vertragen haben? Von aussen scheint es so, denn die Eheleute ziehen das Trennungsbegehren zurück. Doch seither stehen sie unter Verdacht.
Denn die Luzerner Polizei stellt in jenem Jahr fest, dass sich mehrere Ehepaare im Kanton gerichtlich oder freiwillig trennen. Obwohl sie in der Realität noch zusammenleben.
Auffällig sei – das steht in einem Polizeirapport –, dass die «relevanten Personen aus ostafrikanischen Ländern» stammen. Die Trennungen führen dazu, dass die Beiträge der Sozialhilfe für die betroffenen Familien angehoben werden.
Die Polizei hat den Verdacht, dass deswegen Trennungen vorgetäuscht werden. Wegen «mangelnder personeller Ressourcen» könne man nur einem Teil der Verdachtsfälle nachgehen. Das Ehepaar Hadishyon gehört nicht dazu.
Behörden sind alarmiert
Als die beiden 2019 erneut ein Eheschutzgesuch einreichen und die Frau gleichentags einen Antrag auf Weiterführung der Sozialhilfe stellt, sind die Behörden alarmiert. Und fahren grobes Überwachungsgeschütz auf.
Anfangs fährt die Polizei alle paar Nächte am Haus der Frau nur vorbei und notiert, ob der Wagen des Mannes dort parkiert ist. Es steht oft da. Deshalb wird als Nächstes eine Videoüberwachung installiert.
Auch auf den Aufnahmen taucht der Mann fast täglich auf. Die Sache mündet in zwei Hausdurchsuchungen – bei der «diverse Herrenschuhe» in der Wohnung der Ehefrau gefunden werden. Aber kein einziges Paar Socken in der Wohnung des Ehemannes.
Als die Verhandlung vor dem Kriminalgericht Luzern stattfindet, ist die Frau erneut hochschwanger. Von ihrem Ehemann. Für den Einzelrichter ist klar: Die beiden sind zusammen – und waren es immer. Ergo: Sie haben rund 30’000 Franken mehr Sozialhilfe bezogen, als ihnen zugestanden hätte.
Sie werden dafür zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Der Richter qualifiziert die Tat als gewerbsmässigen Betrug. Das ist eine sogenannte Katalogstraftat. Die Folge: obligatorischer Landesverweis.
Sind die beiden aktiv in der Opposition?
Ein Härtefall liegt aus Sicht des Kriminalgerichts nicht vor. «Es ist nicht ersichtlich, dass den Beschuldigten in Eritrea Folter, unmenschliche Behandlung oder Tod drohen würden», heisst es im Urteil.
Konkrete, gegen sie gerichtete potenzielle Menschenrechtsverletzungen oder Lebensgefahren habe das Paar nicht beweisen können. «Der allgemein gehaltene Hinweis des Beschuldigten, er gehöre zur Opposition und ihm drohe die Todesstrafe, ist nicht geeignet, eine besondere Gefährdung plausibel darzulegen», so das Kriminalgericht. Zumal der Beschuldigte keine konkreten Angaben zu seiner Rolle in der Opposition gemacht habe.
Auch die Ehefrau habe nichts Konkretes zu ihrer mutmasslichen Rolle in der Opposition oder zu der Zeit gesagt, die sie im Gefängnis verbracht haben soll.
Kinder indirekt betroffen
Die vier schulpflichtigen Kinder und das inzwischen geborene Baby sind indirekt vom Landesverweis betroffen. Wenn ihre Eltern die Schweiz für fünf Jahre verlassen sollen, sollen sie aus Sicht des Gerichts ihre hier geborenen Kinder mitnehmen.
«Es ist den Eheleuten und ihren Kindern möglich beziehungsweise zumutbar, ihr Familienleben andernorts zu pflegen», heisst es im Urteil. Dem volljährigen Sohn stehe es frei, hierzubleiben.
Für die Kinder dürfte es einschneidend sein, aus ihrem Umfeld herausgerissen zu werden. Das letzte Wort ist allerdings noch nicht gesprochen.
Das Ehepaar hat das Urteil an die nächste Instanz weitergezogen. Als Nächstes hat das Kantonsgericht zu entscheiden, ob das öffentliche Interesse an einem Landesverweis in diesem Fall überwiegt.