Die Fronleichnamsprozession bahnt sich ihren Weg durch Törbel VS. Der katholische Feiertag, an dem das Sakrament der Eucharistie gefeiert wird, ist im Dorf eine ganz grosse Sache. Viele der rund 500 Einwohnerinnen und Einwohner sind entweder direkt dabei oder stehen als Zuschauer am Strassenrand.
Auch Stephan David (41) und seine Lebenspartnerin Franziska Beisig (37) schauen der Prozession zu. Für die beiden ist es das erste Mal, dass sie die Fronleichnamsprozession in Törbel sehen. «Den Feiertag selbst kennen wir natürlich», sagt David. Kein Wunder, der Ingenieur und seine Partnerin stammen aus dem ebenfalls katholisch geprägten Bayern in Deutschland. «Eine Prozession vor solch einer Kulisse ist aber doch etwas anderes», sagt David. Im Hintergrund erheben sich die Viertausender der Walliser Alpen.
Von Lonza abgeworben
David und seine Partnerin sind noch nicht lange «Terbijer», wie die Einheimischen sich selbst nennen. Noch vor einem Jahr lebten die beiden in Mühldorf am Inn in Oberbayern (D). Einwohnerzahl: 21'000. Jetzt wohnen sie mit etwa 500 anderen in einem Walliser Bergdorf.
Die Geschichte von David und Beisig ist eine, wie sie in diesen Tagen oft vorkommt im Oberwallis. Der Pharmakonzern Lonza wächst stark, baut seine Produktionskapazitäten aus. Dafür braucht es Fachkräfte. Inzwischen arbeiten Menschen aus 70 Nationen im Werk in Visp, über 40 verschiedene Sprachen werden gesprochen. In Visp ist der Ausländeranteil innert drei Jahren von 23 auf 28 Prozent im Jahr 2022 angestiegen. Lonza rekrutiert nach Kräften, auch Stephan David wurde abgeworben. «Die Firma hat mich angefragt, ob ich nicht ins Oberwallis kommen möchte», sagt der Ingenieur. Kurze Zeit später schon arbeitete er als Produktionsleiter in der Biotechnologie-Sparte des Konzerns.
Begeisterter Bergsportler
Den Ausschlag für den Umzug ins Oberwallis gaben, neben der Anstellung bei Lonza, vor allem die Walliser Berge. Stephan David ist begeisterter Bergsportler, kennt deshalb das Wallis schon viel länger, als er hier arbeitet. Er war hier öfters in den Ferien. «Es war immer mein Traum, in den Bergen zu arbeiten», sagt er. Obwohl er oft durch Visp gefahren sei, auf dem Weg nach Zermatt oder Saas-Fee, habe er nie daran gedacht, bei Lonza zu arbeiten. «Dazu brauchte es die Personalabteilung.»
Allerdings in Visp wohnen, das kommt für Stephan David nicht infrage. «Ich brauche räumlichen Abstand zu meinem Arbeitsort», erklärt er. Darum suchten er und seine Partnerin in der Umgebung, wurden schliesslich in Törbel fündig. Für Oberwalliser Verhältnisse nicht gerade um die Ecke, doch David sagt: «Mit 15 Kilometern Distanz und einem Höhenunterschied von 900 Metern ist es der kürzeste Arbeitsweg, den ich je hatte.» Rund 30 Minuten dauert die Fahrt zum Werk nach Visp, David nutzt dafür den ÖV.
Noch mehr als den nahen Arbeitsort schätzt er aber die Nähe der Berge. «Es war schon immer mein Traum, die Skischuhe im eigenen Haus anziehen zu können», sagt er. Dafür hat es nicht ganz gereicht, bis ins nächste Skigebiet sind es aber nur ein paar Minuten mit dem Bus. Im Sommer führt David unterdessen auch schon mal Freunde über die Wege und Pässe der Alpen. Der Ingenieur ist nämlich ausgebildeter Bergwanderleiter.
Herzlich aufgenommen
Während Stephan David die Distanz zwischen sich und seinem Arbeitsort schätzt, arbeitet seine Partnerin Franziska Beisig praktisch im eigenen Wohnzimmer. Seit Herbst ist sie als Primarlehrerin an der Schule von Törbel tätig. Das Schulhaus liegt nur ein paar Meter neben der Wohnung der beiden. «Ich geniesse die Arbeit als Dorflehrerin», sagt Beisig.
Angestellt wurde sie praktisch über Nacht. «Das ging alles sehr schnell.» Kein Wunder, im Oberwallis herrscht massiver Lehrermangel, besonders in den Bergdörfern. «Entsprechend herzlich wurden wir in Törbel aufgenommen», sagt die Lehrerin.
Während die beiden begeistert sind von ihrer neuen Heimat, gibt es doch auch Dinge, die sie vermissen. «Am meisten vermisse ich hier die bayrischen Biergärten, das gemütliche Zusammensein, die Atmosphäre», sagt Stephan David. Auch mit Schweizer Bier hat sich der Bayer noch nicht angefreundet. «Dafür kann sich der Walliser Wein aber echt sehen lassen», sagt David und lacht.