Schweizerin Kelly (†23) wurde von ihrem Ex erstochen – jetzt spricht ihre Mutter
«Er hatte immer mehr Macht über sie»

Im Mai 2023 wurde Kelly von ihrem Ex-Freund erstochen. Ein Jahr nach der Tat erzählt ihre Mutter nun von den letzten Stunden ihrer Tochter.
Publiziert: 24.05.2024 um 12:20 Uhr
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Aktualisiert: 24.05.2024 um 12:32 Uhr
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Auf dem Bett ihrer verstorbenen Tochter errichtete Karin einen Altar aus Dingen, die ihr wichtig waren – so war sie beispielsweise bei der freiwilligen Feuerwehr.
Foto: Alexandre Grieu
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Daniella Gorbunova

Am Tag vor ihrem Tod dachte Kelly (†23), sie hätte sich endlich aus den Fängen von Ex-Freund Bojan* befreit. «Am Montagabend sassen wir beide lachend auf der Couch im Wohnzimmer», erinnert sich Kellys Mutter Karin (50), als Blick sie in ihrer Wohnung in Bussigny VD trifft. 24 Stunden später brach ihre Welt zusammen – denn am Dienstagabend, dem 23. Mai 2023, wurde Kelly in Lausanne von ihrem Ex die Kehle durchgeschnitten.

«Ich bin glücklich, jetzt, wo es zwischen uns vorbei ist. Ich werde wieder tun können, was ich will und wann ich will»: Das waren die letzten Worte, die Karin aus dem Mund ihrer Tochter gehört hat. «Für Kelly war ihre Geschichte mit Bojan schon seit Wochen vorbei, lange vor der Tat», sagt sie. «Aber er akzeptierte diese Entscheidung eben nicht.»

Verstarb nach Hirntod

Kellys Tod sorgte vor einem Jahr für Schlagzeilen. An jenem Dienstag im Mai war die Polizei kurz vor 19 Uhr zu einem Einsatz ausgerückt, weil eine junge Frau im Lausanner Stadtteil Isabelle-de-Montolieu in ihrem Auto mit einem Messer schwer verletzt worden war. Der mutmassliche Täter, ein 23-jähriger serbischer Staatsangehöriger, hatte die Polizei verständigt, sich dann ergeben. 

Kelly wurde ins Spital gebracht, wo sie vier Tage später starb. Die Ermittlungen sind aber noch nicht abgeschlossen. So wartet Mutter Karin auf eine Entscheidung des Gerichts. Der mutmassliche Täter, Bojan, befindet sich noch in Haft – für ihn gilt die Unschuldsvermutung.

«Ich möchte ihre Geschichte erzählen»

Für Blick öffnete Karin die Türen zu ihrem Zuhause – für ihre Tochter, wie sie unter Tränen erklärt. «Ich möchte ihre Geschichte erzählen. Ich möchte, dass die Leute wissen, dass es jedem jederzeit passieren kann. Ich möchte, dass man sich an sie erinnert.»

In der Wohnung erinnern viele Bilder und Gegenstände, die Kelly gehörten, an ihre verstorbene Tochter. Die junge Frau war in der Ausbildung zur Feuerwehrfrau. 

Karin erinnert sich: «Sie war ein fröhlicher Mensch, liebte das Leben – wenn sie nicht bei ihm war. Sie war ziemlich verschlossen, was ihre Beziehungen zu Jungs betraf, aber soweit ich weiss, war Bojan ihre erste wirklich ernsthafte Beziehung. Jedenfalls war er der einzige Freund, den sie mir vorgestellt hat.»

Einflussnahme und Isolation

Kelly und Bojan lernten sich zwischen 2020 und 2021 durch gemeinsame Freunde kennen. Sie lebte mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in Bussigny, er mit seiner Mutter und seinen Schwestern in Lausanne. Karin mochte ihn von Anfang an nicht besonders: «Er hat nicht viel aus seinem Leben gemacht. Er hat ständig neue Ausbildungen begonnen, aber keine einzige zu Ende gebracht.»

«Am Anfang war es nicht sonderlich seltsam. Bojan wirkte einfach nur schüchtern und zurückhaltend, aber normal.» Kelly war während ihrer Beziehung oft bei ihrem Freund Zuhause, aber das Paar sei nie zusammengezogen.

Nach und nach begann Karin jedoch, misstrauisch zu werden. «Er hatte immer mehr Macht über sie. Schon bald durfte sie ihre Freunde nicht mehr sehen und verkehrte nur noch in seinem Umfeld. Er konnte es nicht ertragen, dass sie ein Sozialleben ausserhalb ihrer Beziehung hatte.»

Eine toxische Beziehung

Dann kam es zu den ersten Streitereien. Karin beobachtete einige häusliche Szenen in ihrer Wohnung und machte sich Sorgen – sie sprach ihre Tochter jedoch nie darauf an. 

Erst nach zwei Jahren Beziehung sah Kelly ein, dass Bojan ihr nicht guttat. Nach und nach versuchte die junge Frau, sich von ihm zu distanzieren und ihr eigenes Leben wiederzufinden. «Aber er wollte sie nicht gehen lassen. Jedes Mal kam er zurück, entschuldigte sich für alles, erpresste sie emotional und fing wieder an, sie zu beherrschen.»

«Kelly fing wieder an, sich mit anderen Leuten zu treffen», erzählt ihre Mutter. So fuhr sie mit Freunden in die Ferien und engagierte sich wieder mehr bei der freiwilligen Feuerwehr. «Ich glaube, er hat das alles nicht verkraftet.»

«Sie haben ihr gesagt, sie solle nicht gehen»

Wieso Kelly am schicksalhaften Tag trotzdem zum Haus ihres Ex ging, weiss auch Karin nicht. «An diesem Tag war ich bei der Arbeit. Kelly hat mir nicht gesagt, dass sie geht. Aber einige ihrer Freundinnen sagten, dass sie ein paar Sachen abholen wollte. Ich weiss, dass sie ihr gesagt haben, sie solle nicht gehen. Oder zumindest nicht allein. Sie wollten sie begleiten, aber sie hat sich geweigert.»

Ein Freund von Kelly rief Karin dann an – er machte sich Sorgen, da Kelly seine Anrufe nicht beantwortete. Die schreckliche Botschaft wurde ihr dann am Abend von der Polizei überbracht. Im Spital wich sie nicht von der Seite ihrer Tochter: «Als man uns mitteilte, dass es vorbei ist, dass wir nichts mehr tun könnten, als man den Stecker zog, hatte ich das Gefühl, mit ihr zu gehen.»

Heute geht Karin jeden Tag auf den Friedhof. Im Wohnzimmer und in Kellys Schlafzimmer hat sie ausserdem Altare errichtet, die sie an ihre Tochter erinnern. «Wenn ich all das nicht tun würde, hätte ich das Gefühl, die Erinnerung an mein Kind zu verraten.»

An Kellys Todestag organisiert Karin einen Gedenkmarsch mit Freunden und Verwandten.

* Name geändert 

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