Das Schweizer Gesundheitssystem geniesst einen guten Ruf – und kostet sehr viel Geld. Ein Grund sind unnötige Behandlungen und Operationen. Nur: Wann sind Behandlungen nötig, wann Geldmacherei? Das treibt auch die Krankenkassen um. Anhand von institutionalisierten Kontrollen versuchen sie, Missbräuche im Gesundheitswesen aufzudecken und nötigenfalls Gelder zurückzufordern.
640'000 Franken müssen zurückgezahlt werden
Im Falle eines Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten aus St. Gallen scheint der Fall klar: Der fiel über mehrere Jahre mit überhöhten Rechnungen auf. Der Krankenkassenverband Santésuisse intervenierte beim Betroffenen; dennoch sanken die Kosten in den Folgejahren nur wenig. Weil sich der Verband mit dem Arzt nicht einig wurde, ob seine Rechnungen tatsächlich zu hoch ausgefallen waren, landete der Fall vor Gericht. Im Mai 2021 verurteilten die Richter den Spezialisten dazu, mehr als 640'000 Franken an Prämiengeldern zurückzuzahlen.
Der Fall mag ein Extrembeispiel sein, ein Einzelfall ist er nicht. Wie Zahlen von Santésuisse zeigen, ging der Verband im vergangenen Geschäftsjahr in 83 Fällen gegen Ärzte vor, die zu hohe Kosten verrechneten. In 24 Fällen fand man sich in einem aussergerichtlichen Vergleich; in 59 Fällen reichte der Verband Klage ein. Pro Jahr kommen so durchschnittlich fünf Millionen Franken zusammen, die an die Prämienzahler zurückfliessen.
Kontrollen wirken
Für Santésuisse-Sprecher Matthias Müller (47) ist der tiefe Anteil an fehlbaren Ärzten – insgesamt 0,3 Prozent – ein Beweis dafür, dass die Kontrollen eine präventive Wirkung haben. «Das zeigt sich schon daran, dass in der Regel ein Warnbrief ausreicht, um das Abrechnungsverhalten einer Ärztin wieder in normale Bahnen zu lenken», sagt Müller.
Konkret funktionieren die Kontrollen wie folgt: Die Versicherer prüfen mit einem Algorithmus, ob die Kosten eines Arztes mehr als 30 Prozent über dem Durchschnitt vergleichbarer Spezialisten liegen. Das traf im vergangenen Jahr auf 1700 aller Ärzte oder 6 Prozent zu. Ist die Kostendifferenz nicht nachvollziehbar, kommt vom Verband ein Warnbrief.
Sind die Kosten nach der Verwarnung weiterhin zu hoch, muss sich der Arzt erklären. «Gelingt ihm das nicht, fordern wir den Betroffenen auf, die zu Unrecht in Rechnung gestellten Beträge zurückzuerstatten», sagt Müller.
Ärzte kritisieren Methode
Weniger enthusiastisch als die Versicherer beurteilt die Ärzteschaft den Erfolg der Überprüfungen. Urs Stoffel (69) von der Ärztevereinigung FMH wirft Santésuisse vor, mit der Holzhammermethode vorzugehen. Viele Ärztinnen hätten zwar einen Warnbrief erhalten, sich aber gar nichts zuschulden kommen lassen. Und: «Santésuisse schüchtert die Leute mit überhöhten Rückforderungen ein, um dann deutlich tiefere Vergleiche abzuschliessen.»
Matthias Müller weist diesen Vorwurf zurück und verweist darauf, dass der Verband die Methodik seiner Kontrollen jeweils mit der FMH vereinbare.
Der Santésuisse-Sprecher erklärt zudem: «Überhöhte Forderungen sind nicht in unserem Interesse. Korrigiert das Gericht nach unten, müssen wir einen grösseren Teil der Verfahrenskosten tragen.»
Einig sind sich Ärzte und Krankenkassen immerhin darin: Man will den Algorithmus, der die Auffälligkeiten ermittelt, in den kommenden Jahren weiter verbessern.
Denn an schwarzen Schafen in der Ärzteschaft hat niemand ein Interesse.