In St. Gallen werden verzweifelt Polizisten und Polizistinnen gesucht. Die Posten in Goldach, Wittenbach, Oberriet und Walenstadt sind derzeit wegen Personalmangels geschlossen, wie «FM1» schreibt. Die Kantonspolizei St. Gallen beklagte bis zum Stichtag, dem 10. August 2022, doppelt so viele Abgänge wie in einem normalen Jahr – 30 an der Zahl. 20 davon sind Kündigungen. Was ist los?
Der Kommandant Bruno Zanga wird im Interview mit TVO deutlich: «Die meisten haben einfach genug von diesem Job, wollen in ihrem Leben etwas verändern.» Das Personal läuft auf dem Zahnfleisch. «Die Belastungen wurden wohl einfach zu gross.» Die Kantonspolizei St. Gallen geht davon aus, dass ihre Mitarbeitende in diesem Jahr eine ganze Woche zu viel arbeiten. Zanga betont aber: «Nicht der Arbeitgeber ist das Problem.»
10 bis 15 Stellen sind ausgeschrieben
Für Dominik Gemperli, Präsident des Verbandes der St. Galler Kantonspolizei, ist das neue Lohnwesen «NeLo» mitverantwortlich für die Kündigungswelle. Dieses ist im Kanton St. Gallen seit 2019 in Kraft. Die Gegner kritisieren, dass Erfahrungen und bisherige Leistungen nichts mehr wert sein sollen.
«Man darf den Lohnbereich nicht unterschätzen. Die Unzufriedenheit bei jungen Polizistinnen und Polizisten ist sehr gross», sagt Gemperli. Zanga pflichtet ihm bei. Regelmässige Wochenendeinsätze und die steigende Aggressivität gegenüber den Polizisten sind weiter Kündigungsgründe.
Zurzeit seien 10 bis 15 Stellen ausgeschrieben, heisst es. Der Personalmangel könnte für die Bevölkerung spürbare Konsequenzen haben. «Es kann sein, dass wir gewisse Aufgaben nicht mehr erfüllen. Ein sofortiges Ausrücken bei einer Lärmklage wäre nicht mehr möglich», erklärt Zanga. Auch die Politik ist besorgt. SVP-Kantonsrat Sandro Wasserfallen sagt zu «FM1»: «Das ist sicher nicht im Sinn eines sicheren Kantons St. Gallen.»
«Unzufriedenheit nimmt zu»
Personalsorgen kennen auch viele andere Kantone. «Den Fachkräftemangel spüren auch wir bei der Luzerner Polizei – entsprechend wird die Rekrutierung anspruchsvoller», schreibt Mediensprecher Urs Wigger auf Blick-Anfrage. «Im Moment haben wir zwar genügend Leute, es wird aber sicher nicht einfacher, geeignete Personen zu finden», sagt Hanspeter Saxer, Mediensprecher der Kantonspolizei Appenzell Ausserrhoden.
Matthias Graf, Mediensprecher der Kantonspolizei Thurgau, ergänzt: «Die ohnehin schon hohe Belastung und die Unzufriedenheit nehmen zu. 2022 und 2021 gab es mehr Kündigungen als in den Vorjahren.» Gleiches Bild im Kanton Zürich. Im letzten Jahr gingen 36 Kündigungen ein. In den vergangenen fünf Jahren lag der Schnitt bei 22. Die Kantonspolizei Bern schreibt von einem «leichten Unterbestand».
Polizeiposten ab dem 23. Oktober wieder besetzt
Eine erfreuliche Ausnahme bildet die Kantonspolizei Aargau. «Abgesehen von den Pensionierungen verzeichnen wir weniger Austritte von Korpsangehörigen als sonst üblich», schreibt Bernhard Graser, der stellvertretende Kommunikationschef.
Und auch in St. Gallen gibt es eine positive Polizei-Meldung: Ab dem 23. Oktober seien die derzeit geschlossenen Polizeiposten zwar wieder besetzt, wie Polizeisprecher Pascal Häderli auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagt. Allerdings ist die Diskussion über die Gründe der Schliessung wohl noch nicht vom Tisch. Wenn sich die Belastung nicht längerfristig ändert, dürfte die nächste Kündigungswelle schon bald anrollen.