Wie er da so steht und spricht, den Strohhut leger auf den Hinterkopf geschoben, mit sanfter Stimme und dem Anflug eines Lächelns, könnte man denken, dieser Mann sei zufrieden, er ruhe in sich selbst. Doch mit der Welt um ihn herum, mit der ist Kevin Aranda (34) derzeit überhaupt nicht einverstanden.
«Ich habe die Dinge immer hinterfragt», sagt er und meint damit unter anderem: den Kapitalismus, die Ungerechtigkeit, den Fleischkonsum, die Autoritäten. Und nun auch noch die staatlichen Massnahmen gegen Corona. Es trieb ihn sogar auf die Strasse: «Ich war an meiner ersten Demo!»
Der Zürcher, Geschäftsführer und Inhaber von Canna-Health, einer Firma für Cannabis-Produkte, demonstrierte gestern vor einer Woche in Berlin gegen die Corona-Massnahmen. Bilder dieser Aufmärsche laufen seitdem auf allen Kanälen. Vor allem der sogenannte Sturm auf den Reichstag, als militante Rechte die Treppe zum Parlament besetzten, hat Deutschland in Unruhe versetzt. Aber auch, dass sich friedliche Corona-Demonstranten vor den Karren der Rechtsextremen spannen liessen.
Kevin Aranda verschränkt nun die Arme: Er distanziere sich massiv von rechtem Gedankengut. Und: «Ich bin kein Corona-Leugner, ich hatte es ja selber!»
Aus Trotz nach Berlin
Grundlegendes wäre damit geklärt, aber Fragen bleiben: Etwa warum er nach Berlin ging. «Ein spontaner Entscheid», sagt er. Als er hörte, dass der Berliner Senat die Demo von «Querdenken» verboten habe, Kritikern der deutschen Corona-Massnahmen, buchte er den Flug.
«Die eigene Meinung gehört zu unseren Grundrechten.» Und die sieht er zunehmend eingeschränkt, nicht nur in Deutschland: «Bei Corona kann man nicht mehr frei sprechen.» Es werde «schubladisiert»: Für die einen handle es sich um ein Virus, «an dem alle sterben». Andere leugneten sogar dessen Existenz. Aranda: «Mir fehlt der sachliche Austausch!»
Anfang März, der Lockdown bahnte sich gerade an, litt er an Grippesymptomen: Drei Tage fühlte er sich fiebrig, dann war der Spuk vorbei. Ein Test zeigte, dass Aranda Covid-Antikörper gebildet hatte
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Anfängliches Verständnis schwindet
Zu Beginn habe er den Lock down verstanden: «Keiner kannte die Krankheit. Man wollte die Leute schützen.» Zunehmend jedoch erschienen ihm die Massnahmen als «willkürlich und widersprüchlich». Ihn störte so einiges. Wie die Club-Branche als Virenschleuder an den Pranger gestellt worden sei. Wie mit Senioren umgegangen worden sei, die nicht mehr selber entscheiden durften, ob sie sich einer Gefahr aussetzen wollten. Und: «Ich bin gegen die Maskenpflicht.» Aranda fährt darum nicht mehr ÖV. Nur beim Einkaufen trägt er eine: «Weil ich muss!»
Über Sinn oder Unsinn dieser Pflicht, wie man die Maske richtig trägt, ob sie überhaupt schützt oder nicht, darüber wird längst öffentlich diskutiert. Medien arbeiten sich daran ab, viele reden über nichts anderes.
Pharmaindustrie als Profiteur
Aranda genügt das nicht. «Wenn die Maske so wichtig ist, warum ist sie nicht gratis?», fragt er und hat gleich Antworten parat: Die Maskenpflicht sei aus Furcht vor Quarantänelisten und auf Druck der Wirtschaft eingeführt worden. Ein Diktat des Geldes verortet er auch beim Impfstoff, dessen Zulassung mancherorts mit verkürzten Fristen betrieben wird: «Das sind Menschenversuche.» Und weil das Virus mutiere, wie zu lesen sei, sei sowieso fraglich, ob die Impfung helfen wird. So oder so, die Pharmaindustrie werde profitieren, so viel ist für ihn gewiss.
Berlin vor einer Woche: Schon im Vorfeld zeichnete sich ab, dass auch Rechtsextreme anreisen würden. Warum flog er trotzdem hin? Er verfolge die Medien nicht regelmässig, rechtfertigt sich Aranda. Die Demo, an der er teilnehmen wollte, jene der «Querdenker», habe sich politisch in der Mitte positioniert; später distanzierte sich auch deren Veranstalter von den Rechtsextremen.
«99,9 Prozent waren friedlich», sagt Aranda. Rechte Wirrköpfe habe er in Berlin keine gesehen, erst daheim dann, in den Medienberichten. Ihn stört, dass nun die grosse Masse ignoriert werde, die für die Grundrechte eingestanden sei. Befremdlich findet er die Diskussion um die Teilnehmerzahl. Gemäss Polizei haben knapp 40 000 Menschen demonstriert. «Untertrieben», findet er. «Ich sah noch nie so viele Leute, weder an der Street Parade noch am Züri-Fäscht.»
«Viele werden langsam kritischer»
Ein angenehmer Typ mit Strohhut, der ruhig und überlegt spricht – sieht ein Verschwörungstheoretiker so aus? Aranda findet den Ausdruck per se diffamierend. Inzwischen reagiere das Umfeld zumeist neugierig, wenn er seine Meinung sage: «Am Anfang kam mir viel Negativität entgegen.» Wer keine Maske trägt, dem seien Mitmenschen egal, habe man ihm vorgeworfen. «Viele werden langsam kritischer», ist er überzeugt.
Im Oktober wollen die «Querdenker» wieder demonstrieren, diesmal am Bodensee. Kevin Aranda wird dabei sein. Um «ohne Hass und Panikmache zu diskutieren». Denn, wie er sagt: «Wenn es so weitergeht, endet es in einer Meinungsdiktatur.»
Ein Satz zum Abschied, der dann doch aufhorchen lässt.