Veranstalter darben weiter
15'000 Events abgesagt, 1400 Jobs weg

Trotz Impfung und Zertifikat findet die Event-Branche nicht aus der Krise. Nun wächst die Angst, dass der Bund die Betriebe fallen lässt.
Publiziert: 07.11.2021 um 11:59 Uhr
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Aktualisiert: 07.11.2021 um 20:10 Uhr
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Lichtblick: Pegasus-Konzert Anfang Oktober im Hallenstadion.
Foto: Keystone
Simon Marti

Der Absturz begann Anfang 2020. Kaum hatte sich das Coronavirus verbreitet, standen die Veranstalter von Messe-, Musik- und Unterhaltungsevents vor dem Nichts. Praktisch sämtliche Anlässe fielen aus, die Umsätze brachen ein, Tausende Arbeitsplätze gingen verloren. Und dabei blieb es: Für das laufende Geschäftsjahr rechnet die Branche mit dem Ausfall von 15'000 Veranstaltungen. Das zeigt eine Umfrage der Branchenverbände Expo Event, SVTB und Tectum, die SonntagsBlick vorliegt. Der Umsatz dürfte bis Ende 2021 mit 2,52 Milliarden Franken kaum besser ausfallen als im Vorjahr.

Zum Vergleich: Vor der Krise erwirtschafteten die Veranstalter 5,6 Milliarden Franken. Die Hoffnung, ab Herbst die Verluste des ersten Krisenjahrs zumindest teilweise wettzumachen, war vergebens.

Selbst Anlässe, die stattfänden, deckten oft kaum die Kosten, sagt der Präsident von Expo Event, Christoph Kamber: «Unsere Branche bewegt sich auf sehr dünnem Eis. Als Veranstalter weiss ich: Einige Projekte sind derzeit wahre Kamikaze-Übungen, so eng wird kalkuliert.»

Finden sie statt, dann in der Regel vor deutlich weniger Publikum. «Das drückt den Umsatz stark», so Kamber. «Wir sprechen von bis zu 40 Prozent pro Anlass. Das kann kein Veranstalter längerfristig durchhalten.»

Die Auftragslage beschreibt Kamber als höchst volatil. Vieles hängt vom täglichen Bulletin des Bundesamts für Gesundheit ab: «Steigen am Morgen die Infektionszahlen, sagen die Auftraggeber am Nachmittag ab.»

«Kundenkreis massiv eingeschränkt»

Man trage das Zertifikat und die Impfaufrufe des Bundes mit, betont der Präsident von Expo Event. «Doch ist die Impfbereitschaft halt leider tiefer als erwartet, und die Zertifikatspflicht schränkt unseren Kundenkreis massiv ein.»

In der Folge baute die Branche 2021 weitere 1400 Stellen ab. Seit Beginn der Krise gingen damit rund 6000 Jobs verloren. Diese fortdauernde Auszehrung wird auch längerfristige Folgen haben. Viele Spezialisten haben der Eventbranche für immer den Rücken gekehrt. Was bisweilen zu der absurden Situation führt, dass trotz leerer Auftragsbücher für kurzfristige Aufträge zu wenig Personal bereitsteht.

Nicht zuletzt für Zulieferer und Gastronomen hat die Misere der Veranstalter Folgen. Von einer grossen Messe oder einem Konzert profitieren auch Hoteliers, Wirte oder Handwerker einer Region. 2019 lag der daraus resultierende Umsatz bei über 22 Milliarden Franken. Ende 2021 dürften davon knapp zehn Milliarden übrig sein.

Philipp Musshafen, CEO des Zürcher Hallenstadions, zieht eine düstere Bilanz: «Unser Jahr lief gleich wie für die anderen Betriebe der Branche, das heisst: katastrophal.»

Immerhin werde wieder Eishockey gespielt. «So schön das ist, es kommen weniger Zuschauer an die Spiele als vor dem Beginn der Pandemie», meint Musshafen. Und gerade internationale Künstler suchten für bereits geplante Auftritte im kommenden Jahr nach möglichen Ausweichdaten.

Die grösste Sorge der Event-Veranstalter: Ohne Reserven und mit trüben Zukunftsaussichten fürchten sie, vom Staat vergessen zu werden. Der Bundesrat – das wurde vergangene Woche deutlich – will im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen von Corona den Krisenmodus verlassen. Das ausgeweitete Verfahren bei der Kurzarbeit läuft mit dem Jahreswechsel aus, der Schutzschirm, mit dem der Bund Vorbereitungsarbeiten für grosse Veranstaltungen versichert, im April.

«Die Wirtschaftshilfen haben viele von uns gerettet», räumt Verbandspräsident Kamber ein. «Werden diese aber zu früh eingestellt, trifft es mit uns eine Branche, die sich in der Pandemie stets solidarisch verhalten hat. Diese Solidarität muss nun auch für uns gelten.»

Dem Hallenstadion hat die Kurzarbeitsentschädigung geholfen, Arbeitsplätze zu erhalten, sagt CEO Musshafen. Wichtig sei, dass der Schutzschirm mindestens bis Herbst 2022 verlängert werde. Das wäre ein Anfang, um der Kultur wieder Leben einzuhauchen: «Sonst nimmt kaum jemand die Kosten in die Hand, grössere Konzerte oder Events zu planen.»

Die Hilfe könnte ausbleiben

Kommende Woche befasst sich die Wirtschaftskommission des Nationalrats mit diesem Schutzschirm. Vertreter mehrerer Parteien drängen auf Verlängerung. Ob sie gegen den Willen des Bundesrats eine Mehrheit schmieden können, ist offen.

Für die Veranstalter ist die Krise noch nicht vorbei, hält Grünen-Nationalrätin Regula Rytz fest: «Es leuchtet jedem ein, dass ein Konzert nicht rentiert, wenn die Zuschauerränge halb leer bleiben.» Rytz und ihre Mitstreiter wollen in der Wirtschaftskommission verlangen, den Schutzschirm bis Ende 2022 beizubehalten. Sie rechtfertigen dies mit Lösungen für andere Branchen.

«Im Sport und in der Kultur will der Bundesrat die branchenspezifischen Hilfsmassnahmen verlängern», sagt die Berner Nationalrätin. «Es besteht kein Grund, dies bei der bescheidenen finanziellen Absicherung von Events nicht auch zu tun.»

Auch für Schausteller, denen im anstehenden Winter erneut Monate ohne Einkünfte bevorstehen, verlangt Rytz eine Lösung: «Wenn es auch in Zukunft noch traditionelle Chilbis und Lunaparks geben soll, muss das Parlament eine Notunterstützung beschliessen.»

Für beide Berufsgruppen, Schausteller wie Veranstalter, kann von Normalität noch lange keine Rede sein. Während sich das Land eine Diskussion um Sinn und Zweck der Impfung leistet, bangen zig Hunderte kleine Betriebe um ihre Existenz.

Ohne die Vielzahl dieser Unternehmen wird es in der Schweiz wohl noch länger still bleiben als ohnehin nötig.

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