Velofahren ist hoch im Kurs
Die Schweiz sattelt um

Während des Lockdowns wurde so viel Rad gefahren wie nie zuvor. Die Branche geht von einem langfristigen Boom aus. Jetzt müssen nur noch die Städte velofreundlicher werden.
Publiziert: 25.07.2020 um 23:56 Uhr
|
Aktualisiert: 15.08.2020 um 23:25 Uhr
1/7
Die Schweiz sattelt immer mehr aufs Velo um. Durch die Corona-Krise ist die Nachfrage an Velos massiv gestiegen. Zahlreiche Händler und Läden verbuchen eine Verdoppelung des Absatzes für die Monate Mai und Juni.
Foto: Keystone
Valentin Rubin

Corona hat uns ordentlich strampeln lassen. Das Wetter war im Frühling so prächtig wie lange nicht. Die Menschen hatten mehr Zeit. Und auf dem Zweirad erwischt man garantiert kein Covid-19. Das Velo erwies sich für viele als das ­coronakonformste und umweltfreundlichste Verkehrsmittel. Die Schweiz hat umgesattelt – und auch in den Monaten Mai, Juni und Juli ist der Veloboom nicht vorbei.

Zwar mussten die Velo- und Sportgeschäfte bis am 11. Mai geschlossen bleiben. Doch Werkstätten blieben offen – sie wurden für systemrelevant erklärt. Und hatten allerhand zu tun.

Verkaufszahlen schiessen in die Höhe

Die hohe Nachfrage hält bis heute an. «Die Importeure sind immer noch total am Anschlag», erklärt Martin Platter, Geschäftsführer des Verbands Schweizer Fahrradlieferanten Velosuisse. «Wir haben jetzt noch untypisch lange Wartezeiten.» Die Velo­branche gehöre zu den Nutzniessern der Corona-Krise. Allein im Mai, so Platter, haben die grössten Velohändler der Schweiz bis zu dreimal mehr Umsatz ­gemacht als im Vorjahr.

Auch Veloplus, der Velo- und Zubehörhändler mit zehn Filialen in der Deutschschweiz, verzeichnet seit Mai ein massives Plus. «Wir hatten bis zu 50 Prozent mehr Kundschaft als gewöhnlich», freut sich Geschäftsführer Dominique Metz. Während des Lockdowns liefen nur die Werkstätten und der Onlinehandel, die Kunden hätten vor allem Ersatzteile sowie Verbrauchs- und Reparaturmaterial bestellt. Seit Mai nimmt der Verkauf von Velos oder E-Bikes aber rasant zu. «Bei nicht motorisierten Velos setzen wir im Vergleich zur Vorjahresperiode schweizweit 50 Prozent mehr Produkte ab, bei E-Bikes gar 75 Prozent.»

Noch eindrücklicher sind die Zahlen beim schweizweit grössten Onlinehändler Galaxus. Im April nahmen die Verkäufe von E-Bikes im Vergleich zum Vorjahr um ­3000, bei Mountainbikes um 1650 Prozent zu. Bei Rennvelos waren es sogar 5100 Prozent! Was einem Wachstum vom Faktor 50 entspricht.

Das Velo ist neu entdeckt worden

Ein Teil dieses massiven Zuwachses lässt sich mit den geschlossenen Läden erklären – der Onlinehandel profitierte überdurchschnittlich. Martin Platter von Velosuisse erklärt sich das aber auch noch so: «Sämtliche Verkehrsträger erlebten einen massiven Einbruch. Ausser das Velo. Die Strassen ­waren auf ­einmal übersichtlich und fast leer, das Sicherheitsgefühl für Velo- und E-Bike-Fahrer nahm entsprechend zu.»

Viele Menschen hätten während dieser Zeit einen «Aha-­Moment» erlebt. «Man kommt eben doch verdammt schnell mit dem Velo vorwärts», so Martin Platter. Zudem hätten mehr Menschen gemerkt, wie effizient und gesund es ist, sich regelmässig auf den Sattel zu schwingen. Insbesondere im Bereich der E-Bikes sieht Platter nachhaltiges Potenzial. «Das E-Bike wird immer mehr zum Verkehrsmittel der Zukunft.» Die Entwicklung ­halte aber bereits seit Jahren an. Dominique Metz von Veloplus ergänzt: «Das grösste prozentuale Wachstum findet bei den schnellen E-Bikes statt.» Viele wollten nun vor allem ihren Arbeitsweg mit dem Velo statt mit dem ÖV oder Auto zurücklegen.

Noch fehlen vielerorts Velowege

Wie nachhaltig die Entwicklung sein wird, hängt massgeblich von der Infrastruktur und der Städteplanung ab. «Da ist fast überall noch sehr viel Luft nach oben», hält Martin Platter fest. Blickt man nämlich ins Ausland, stellt man fest: In Städten wie Berlin, Bogotá oder Brüssel wurden im Lauf der letzten Monate über Nacht zusätzliche Velowege aus dem Boden gestampft. Solche proaktiven Initia­tiven fehlen in Schweizer Städten momentan noch fast überall.

Platter wagt dennoch eine Prognose für das gesamte laufende Jahr: «Ich rechne für 2020 mit einem weiteren Wachstum der Branche von bis zu 25 Prozent.» Die Zahlen geben ihm recht. Intersport verzeichnet etwa bis in den Juli hi­nein nach wie vor eine doppelt so hohe Nachfrage im Veloservice- und -reparatur­bereich wie im Vorjahr. Auch bei SportXX, das zur Migros gehört, ist auf An­frage von einer «Verdoppelung der Nachfrage in allen Bereichen» die Rede. Und bei Galaxus wurden im Juni noch immer mehr als siebenmal so viele ­E-Bikes verkauft wie im ­Vorjahr. Der Aufschwung war also nicht nur ein Lockdown-Phänomen.

«Wir glauben fest an die Zukunft des Velos», sagt Dominique Metz von Veloplus. Denn wenn – wie erst kürzlich in der Stadt ­Zürich entschieden – Preise für Autoparkplätze massiv verteuert werden und sich der Trend in Richtung verkehrsbefreite Innenstädte fortsetzt, werden noch mehr Leute aufs Velo oder E-Bike umsatteln.

Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?