Nach der Hochsaison der Konzerte mit AC/DC und Taylor Swift wird das Zürcher Letzigrundstadion vom 19. bis 21. Juli erneut einen grossen Ansturm erleben: An diesen drei Tagen sollen je 20'000 Gläubige aus aller Welt an einem Sonderkongress die Botschaft der Zeugen Jehovas empfangen. Die Gemeinschaft, die Kontakte zur Aussenwelt einschränkt, Bluttransfusionen ablehnt und die Endzeit voraussagt, wolle in Zürich «den Trost und die Hoffnung der Bibel mit ihren Mitmenschen teilen», wie sie in einer Mitteilung schreibt. Jehovas Zeugen betonen im Communiqué weiter, die Delegierten würden in diesen Tagen zu einer besonderen Atmosphäre in der Stadt Zürich beitragen.
Die Religionsgemeinschaft hat in der Schweiz nach eigenen Angaben 20'000 aktive Mitglieder, ihre Praxis ist hochumstritten. So zeigt etwa eine Studie der Universität Zürich, in der über 400 ehemalige Zeugen Jehovas befragt wurden, dass ein Drittel der Aussteiger Suizidgedanken mit sich trugen. Zudem erlebten die Ehemaligen in ihrer Kindheit überdurchschnittlich häufig Gewalt.
Unbedingter Gehorsam
Christian Rossi von der Beratungsstelle Infosekta kennt die Organisation als ehemaliges Mitglied gut. Er attackiert sie scharf. Beispielsweise habe die Gemeinschaft für ihre Mitglieder in der Schweiz sämtliche demokratischen Rechte abgeschafft. «Die Zeugen Jehovas dürfen sich nicht politisch betätigen oder wählen gehen.»
Zudem verlange die sogenannte Wachtturm-Gemeinschaft unbedingten Gehorsam und völlige Unterordnung. Rossi, der eine Selbsthilfegruppe für Aussteiger leitet, stellt fest, dass vor allem das Kontaktverbot zu Ehemaligen ganze Familien auseinanderbrechen lasse.
Keine Ablehnungsgründe
Die Stadt Zürich als Vermieterin des Letzigrunds sah trotz solcher Kritik keine Gründe, den Veranstaltern das Stadion nicht zur Verfügung zu stellen. «Die Vermietung erfolgt im Sinn einer nicht diskriminierenden Gleichbehandlung», sagt Marc Caprez, Sprecher des Sportdepartements. Sofern es keine Sicherheitsbedenken gebe oder strafrechtliche Tatbestände vorlägen, würden Anfragen bewilligt. «In diesem Fall lagen keine Gründe vor, die Vermietung zu verweigern», hält Caprez fest. Dem Vernehmen nach zahlen die Veranstalter für die drei Tage einen sechsstelligen Betrag für die Benutzung des Stadions. Caprez äussert sich nicht dazu, die Stadt kommuniziere den Inhalt von Verträgen nicht.
«Friedliche Aktivitäten»
In früheren Jahren führten die Zeugen Jehovas regelmässig Kongresse im Zürcher Hallenstadion durch. Nun habe man für den Sonderkongress eine grössere Veranstaltungsstätte gesucht, sagt Dominic von Niederhäusern, Sprecher von Jehovas Zeugen der Schweiz. Die Kritik an der Gemeinschaft weist er dezidiert zurück: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe wiederholt festgehalten, dass es sich bei Jehovas Zeugen um eine «bekannte Religion mit völlig friedlichen Aktivitäten» handle.