Um die Impfquote zu erhöhen
So will der Bund Migranten umwerben

Die Zahl der Neugeimpften in der Schweiz ist eingebrochen. Das könnte für manche Bevölkerungsgruppen gefährlich sein. Deshalb sollen sie jetzt gezielt angesprochen werden.
Publiziert: 11.07.2021 um 00:20 Uhr
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Aktualisiert: 11.07.2021 um 13:05 Uhr
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Der Kampf gegen das Coronavirus ist landesweit ins Stocken geraten. Obwohl reichlich Impfstoff vorhanden ist. Noch gestern Samstag sass die Schweiz auf weit über einer Mil­lion Dosen, während in den meisten Kantonen die Zahl der neu Geimpften zurückgeht.
Foto: Keystone
Sven Zaugg

Der Kampf gegen das Coronavirus ist landesweit ins Stocken geraten. Obwohl reichlich Impfstoff vorhanden ist. Noch gestern Samstag sass die Schweiz auf weit über einer Million Dosen, während in den meisten Kantonen die Zahl der Neugeimpften zurückgeht.

Wurden bisher zu Spitzenzeiten täglich mehr als 90'000 Spritzen gesetzt, waren es letzte Woche im Durchschnitt nur noch rund 60'000. Das Bundes-Ziel einer Impfquote von 75 bis 80 Prozent für die Gesamtbevölkerung rückt in weite Ferne. Von hundert Einwohnern sind bislang lediglich 38 vollständig immunisiert.

Sinkt die Impfbereitschaft weiter, setzt sich die besonders ansteckende Delta-Variante noch schneller durch. Die wissenschaftliche Taskforce des Bundes rechnet bereits in vier bis sechs Wochen damit. Einmal mehr befindet sich die Schweiz im Wettlauf gegen die Zeit.

Ärmere Schichten in Gefahr

Besonders gefährdet sind in dieser heiklen Phase neben Kindern und jungen Erwachsenen vor allem ärmere Schichten. Dort ist die Durchimpfung im Vergleich zur Gesamtbevölkerung noch nicht so weit fortgeschritten.

Vor den Folgen dieser Entwicklung warnte Ex-Taskforce-Präsident Matthias Egger bereits im Mai. In einer Studie kam der Berner Epidemiologe zum Schluss, dass arme Menschen in der Schweiz ein grösseres Risiko tragen, an Corona zu erkranken oder gar zu sterben.

Nun bestätigen erstmals aktuelle Spitalzahlen aus dem Kanton St. Gallen, dass besonders die Migrationsbevölkerung betroffen ist. Vor allem dann, wenn die vom Virus ausgelöste Erkrankung einen gravierenden Verlauf nimmt.

So lag der Ausländeranteil – im Gesamtkanton beträgt er 24 Prozent – auf Intensivstationen bei 38,6 Prozent. Für die Bevölkerung mit Migrationshintergrund war demnach das Risiko, besonders schwer an Corona zu erkranken, höher als für andere Schweizerinnen und Schweizer.

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Migranten leben gefährlicher

Die Gründe dafür sind vielfältig: Migranten arbeiten überdurchschnittlich oft in prekären Jobs – in der Regel ohne die Möglichkeit, sich ins Homeoffice zurückzuziehen: als Putzkraft im Hotel, als Arbeiter in der Fabrik oder als Erntehelfer auf dem Bauernhof.

Epidemiologe Egger stellte ausserdem fest, dass in ärmeren Nachbarschaften weniger getestet wurde. Wichtige Informationen über das Virus selbst und wie man sich davor schützen kann, drangen oft nicht bis zu den Migranten vor.

Ein ähnliches Bild zeigt sich nun bei den Impfungen. Der Basler Kantonsarzt Thomas Steffen sagt: «Migranten sind zum Teil sehr schlecht informiert, wo sie sich impfen lassen können oder wer dafür bezahlt.» Deshalb liege die Impfquote ausgerechnet in dieser stark gefährdeten Gruppe vermutlich tiefer. Steffen: «Kulturelle Strukturen genauso wie sozioökonomische Faktoren spielen eine entscheidende Rolle bei der Ausbreitung einer Pandemie.»

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Für den Fortschritt der Impfkampagne ist daher die gegenwärtige Phase entscheidend, glaubt Adrian Kammer, Kampagnenleiter beim BAG: «Wir müssen nochmals einen Zacken zulegen, um vor allem jungen Erwachsenen in Erinnerung zu rufen, dass jetzt ein guter Zeitpunkt ist, sich zu impfen.» Dort sei die Unsicherheit, aber eben auch das Impfpotenzial am grössten, sagt Kammer.

Insgesamt investierte der Bund seit Beginn der Pandemie satte 24 Millionen Franken in 25 Teilkampagnen. Nach den Sommerferien wird das BAG eine weitere Kampagne lancieren. «Um transparent über Wirkungen und Nebenwirkungen der Impfung zu informieren», sagt Kammer.

Impfbotschaften im Whatsapp-Chat

Allerdings: Über klassische Medien wie Zeitung oder Fernsehen und mit Plakaten dürfte gerade die Migrationsbevölkerung kaum zu erreichen sein. «Deshalb sind soziale Medien ein wichtiger Kanal, um fremdsprachige Menschen in der Schweiz zu erreichen. Die Migrationsorganisationen intensivieren die BAG-Kampagne daher auf Facebook, während die Kantone die Impfbotschaften über Whatsapp-Gruppen verbreiten», sagt Kammer.

Zu diesem Zweck werden Informationen zu Impfung und Hygeneregeln in über 20 Sprachen übersetzt.

Doch das allein genügt nicht: «Entscheidend ist der Absender», sagt Kammer. «Nicht das BAG alleine, sondern Meinungsträger im jeweiligen Kulturkreis müssen der Migrationsbevölkerung die Vorteile des Impfens vermitteln. Das hat mehr Gewicht.»

So hat sich Diaspora TV in der Pandemie zur wichtigsten Informationsquelle für einen grossen Teil der Migrationsbevölkerung entwickelt. Der Fernsehkanal für Ausländer in der Schweiz strahlt regelmässig Informationen zur Pandemie, über Hygieneregeln und Impftestimonials auf Tamil, Farsi, Albanisch und in einem weiteren Dutzend Sprachen aus.

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Zugang soll vereinfacht werden

Gleichzeitig muss der Zugang zu den Impfungen vereinfacht werden, fordert Andrea Feller, stellvertretende Abteilungsleiterin Gesundheit beim Schweizerischen Roten Kreuz: «Bei User-Tests haben wir festgestellt, dass viele Migrantinnen und Migranten mit mangelnden Sprachkenntnissen bereits bei der Anmeldung zur Impfung scheitern. Das Prozedere ist zu kompliziert.»

Es ginge einfacher, glaubt Feller: «Die Impfungen müssen zu den Migrantinnen und Migranten kommen.» Dazu sollten noch mehr mobile Impfstationen vor Supermärkten und in den Quartieren eingerichtet werden. «Zudem muss das Angebot von Walk-ins ausgebaut werden», sagt die SRK-Frau.

Einige Kantone haben Fellers Forderung bereits erfüllt: So bieten etwa der Aargau, Schwyz und die Waadt seit mehreren Tagen mobile Impfstationen bei Einkaufszentren an.

Ob die Impfkampagne damit wieder genügend Fahrt aufnimmt, wird sich spätestens Ende Sommer zeigen. Nämlich dann, wenn die Delta-Variante das Geschehen dominiert.

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