Morgens in Puerto Rico: Kendall Kay (25) steht im Seidenpyjama vor der Kamera – in ihrer Küche – und sagt: «Als Erstes, wenn ich aufwache, mixe ich mir einen Green Juice. Und einen Eiskaffee für Luke. Dann räume ich unser Zimmer auf, starte meine Zwanzig-Minuten-Hautpflegeroutine. Später schreibe ich Tagebuch, mache Pilates und bügle Lukes Hemden.» Unter dem Hashtag «Stay-at-Home Girlfriend» lässt Kay auf Tiktok und Instagram tief in ihren Alltag blicken.
Die Mission eines «Stay-at- Home Girlfriend» ist es, den Haushalt zu besorgen sowie den – zumeist gut verdienenden – Freund zu umsorgen und dabei besonders hübsch auszusehen. Ihr Idol: Bree Van de Kamp aus der TV-Kultserie «Desperate Housewives».
Wer in letzter Zeit durch Social Media scrollte, dürfte auf diesen Hashtag gestossen sein. Mehr als 134 Millionen Mal stand das Stichwort «Stay-at-Home Girlfriend» unter einem Tiktok-Video. Frauen lassen sich von ihrem Partner ihren Lebensunterhalt finanzieren und leben ein Leben wie anno 1950, nur ohne Kinder.
Studien: Junge Menschen sind progressiv
Ein Teil des Internets ist neidisch, der andere besorgt. «Die Rolle ist ja nicht unbequem», sagt Psychotherapeut Felix Hof. Bei den Gleichstellungsmassnahmen in unserer Gesellschaft sei viel verpasst worden. «Frauen leisten insgesamt mehr bezahlte und unbezahlte Arbeitsstunden pro Tag. Da verwundert es mich nicht, dass es für gewisse verlockend erscheint, sich den ganzen Tag den eigenen Vorlieben widmen zu können.»
Für Stefanie Hafner (30) von der Generation-Z-Beratungsfirma Neoviso bedient diesen Trend lediglich eine Minderheit: «Studien zeigen: Die jungen Menschen von heute haben eine progressive Einstellung zum Leben und sind klar für die Gleichstellung der Geschlechter.»
Allerdings sei die Generation Z selbstbewusster als jede vor ihr und zelebriere ihre Optionen in aller Öffentlichkeit. «Sie fühlt sich nicht gezwungen, einem bestimmten Bild von Feminismus zu entsprechen. Wer Lust hat auf ein Leben ohne Karriere, kann trotzdem eine starke Frau sein.»
Alternative zu «Girlboss»-Kultur?
Bekannt ist, dass rechtsextreme Influencerinnen auch in den sozialen Medien nach Anhängerinnen suchen. Sie verbinden scheinbar unpolitische Postings mit rechter Gedankenwelt. SonntagsBlick hätte gern mit «Stay-at-Home Girlfriends» gesprochen, aber alle Anfragen blieben unbeantwortet.
Der russischsprachigen Internetzeitung «The Insider» sagte Kay, sie betrachte ihren Lebensstil als Alternative zur sogenannten «Girlboss»-Kultur. «Ich möchte anderen Frauen zeigen, dass sie nicht alles und überall sein müssen. Solange sie entscheiden, was sie tun möchten, haben sie Macht.» Dank kleineren Gelegenheitsjobs und Content Creation, der Herstellung von multimedialen Inhalten, geniesse sie eine «gewisse» finanzielle Unabhängigkeit.
Inzwischen nehmen zahlreiche Nutzer den Hashtag ironisch auf und fluten Tiktok mit Parodien. Für Social-Media-Experte Mike Schwede zeugt der Hashtag vor allem von geschicktem Marketing: «Instagram- und Tiktok-User setzen bewusst auf kontroverse Themen, um Follower zu gewinnen. Damit die Leute möglichst sauer oder begeistert sind, in die Tasten greifen und kommentieren. Je mehr Engagement, desto mehr virale Reichweite.»