«Wir können nicht länger warten»
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Strassen sind gesperrt:«Wir können nicht länger warten»

Wegen Felssturzgefahr am Lago Maggiore fährt nur noch das Schiff – dies kostet Zeit und Nerven
«Der Umweg ist eine Qual»

In zehn Jahren wurde das wichtige Strassenstück zwischen der Schweizer Grenze in Brissago TI und der italienischen Gemeinde Ghiffa acht Mal verschüttet. Die Strasse ist zurzeit wieder mal gesperrt – auf Kosten zahlreicher Grenzgänger.
Publiziert: 26.11.2018 um 13:49 Uhr
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Federico Carmine (38), Bürgermeister von Cannero Riviera (I) und Angestellter in Locarno TI, muss jetzt auch jeden Tag mit dem Schiff nach Cannobio (I), weil die Strasse durch den Steinschlag gesperrt ist.
Foto: Myrte Müller
Myrte Müller

Berge, Palmen, romantische Dörfer und der tiefblaue See. Die Riviera zwischen Brissago TI und Ghiffa (I) zählt zu den schönsten Uferabschnitten der Welt. Bis zu 8000 Autos befahren sie täglich. Meist sind es italienische Grenzgänger, die in der Schweiz arbeiten. In der Reisesaison schieben sich auch Touristen durch die schmale, malerische Uferstrasse. Ein beliebtes Ziel: der Sonntagsmarkt von Cannobio (I).

Doch die Pracht hat eine Schattenseite, die sich mit dem Klimawandel verfinstert: Unbebaute Hänge bröckeln. Immer häufiger kommt es zu Erdrutsch und Felsschlag. Achtmal in den vergangenen zehn Jahren. Viermal allein seit 2014. Und die lädierte Natur richtet immer mehr Schaden an. Vor vier Jahren rutschte die Erde in Cannero Riviera (I). 50 Tage dauerte die Räumung. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. Im März 2017 erschlugen Steinbrocken in Cannobio einen Tessiner Töfffahrer (BLICK berichtete). 

Notstand am Lago Maggiore

Am 6. November war es wieder so weit. Exakt an der gleichen Stelle, wo der Tessiner Apotheker Roberto R.*(†68) starb, kracht erneut Fels vom Hang auf die Uferstrasse. Wieder ist die Strasse gesperrt, die Hauptverkehrsader abgeklemmt. Bis auf Weiteres gilt Notstand am Lago Maggiore. Die Grenzgänger müssen auf Fähren ausweichen, das gesperrte Strassenstück umschiffen. Die Zahl der Fahrten wurde vervierfacht – auf 16 pro Tag. 

Nazzareno Luini (42) zieht seine Wollmütze tief über die Ohren. Es ist kalt und dunkel, wenn er das Boot besteigt. «Der Umweg ist eine Qual», sagt der Gärtner aus Intra (I). Denn: «Schon jetzt mit dem Schiff muss ich um fünf Uhr morgens raus aus dem Haus, kehre erst gegen 19 Uhr heim.» Der Italiener arbeitet in Muralto TI. Mühsame Stunden für den alleinerziehenden Vater von drei Kindern (3, 10 und 12 Jahre alt). 

Auch Antonio Mastro (55) und seine Kumpels stehen am Kai von Cannobio. Sie warten auf die Fähre. Die Gruppe arbeitet auf einer Baustelle im Maggiatal. Fast 100 Kilometer sind es zum Tessiner Arbeitsplatz. Mastro muss jetzt um 4.45 Uhr aus dem Haus. «Dieser Felsschlag ist absurd», sagt der Asphaltierer aus Verbania (I). «Sie hatten den Hang doch vor einem Jahr befestigt. Wieso stürzen da wieder Steine runter? Da wurde doch schlecht gearbeitet.» Das Vertrauen ist hin: «Diese Schlamperei ist hochgefährlich!»

Klimawandel und Wildwuchs beschleunigen das Problem

Federico Carmine (38) ist nicht nur als Grenzgänger betroffen. Der Angestellte eines Tessiner Schreibwarengeschäfts ist auch Bürgermeister von Cannero Riviera. Seit dem Felssturz ist die Gemeinde mit 960 Einwohnern von Cannobio und der Schweiz abgeschnitten. Carmine ist überzeugt: «Der Klimawandel und der Wildwuchs sind schuld an den Erdrutschen.» In seiner Kindheit habe es weder solch heftige Regen noch solche Stürme gegeben, erinnert sich der Italiener. «Die Hänge waren bewirtschaftet, jetzt wachsen da die Bäume. Sie entwurzeln leicht, reissen den Hang runter.»

Zwischen dem Schweizer Grenzposten und Ghiffa liegen nur 25 Kilometer. Doch an 14 Stellen muss der Hang befestigt, an zwei die Uferstrasse gar überdacht werden. Doch Italiens Mühlen mahlen langsam und es bleibt die bange Frage: «Wann kommt der nächste Erdrutsch?»

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