Vor einem Jahr lancierte Raffaele De Rosa (48) zu Ostern im BLICK einen flehenden Appell: «Wenn ihr uns liebt, bleibt daheim!» In diesem Jahr dürfen die Touristen aus der Deutschschweiz wieder kommen. Doch richtig begeistert ist der Gesundheitsdirektor nicht, wie er im BLICK-Interview erzählt.
BLICK: Viele Deutschschweizer packen schon die Koffer. Hotels und Ferienappartements sind im Südkanton fast ausgebucht. Wie sehen Sie die anrollende Reisewelle?
Raffaele De Rosa: Ich bin sehr besorgt über die grosse Zahl an Touristen, die wir erwarten. Die Pandemie ist nicht vorbei. Besonders die Ausbreitung der Varianten, der englischen, der südafrikanischen und anderer, müssen wir genau beobachten. Sie sind nicht nur viel ansteckender als das Stammvirus, sondern – wie wir nun aus internationalen Studien wissen – auch tödlicher. Gut 80 Prozent der neuen Infektionen in unserem Kanton werden von den Mutanten verursacht, vor allem der britischen.
Wie ist die Corona-Lage heute?
Die Neuinfektionen nehmen wieder erheblich zu. Auch gibt es wieder mehr Spitaleinweisungen. Die Positivitätsrate bei den Getesteten liegt bei sieben bis zehn Prozent und der R-Wert schon bei 1,2. Da müssen die Alarmglocken schon Sturm läuten.
Im Tessin herrscht ein strenger Lockdown. Bremst er das Virus?
Wir sehen, dass die Zahl der Neuinfektionen steigt. Das Tempo und das Ausmass der Ausbreitung machen uns grosse Sorgen. Die Corona-Lage ist noch immer sehr, sehr gefährlich. Alle Indikatoren deuten darauf hin, dass wir uns am Beginn einer dritten Welle befinden. Bis zu Ostern ist es noch eine Woche. Wir wissen nicht, wie sich die Pandemie bis dahin entwickelt.
Sollte sich die Lage verschärfen: Würden Sie Touristen davon abhalten, ins Tessin zu reisen?
Schliessen wir den Südkanton für Einreisen, dann weichen die Touristen auf andere Kantone aus. Ein Reiseverbot bleibt daher in der Regie des Bundes. Aber dieser erlaubt nicht einmal mehr Kontrollen an den Grenzübergängen. Italiener aus den roten Zonen dürfen ohne Einschränkung einreisen und bei uns einkaufen oder Ski fahren. Wir hatten den Bund daher um diese Kontrollen gebeten.
Wo sehen Sie die grössten Gefahren?
Es gibt schweizweite Corona-Regeln, die eine Versammlung von mehr als zehn Personen in Innenräumen und 15 im Freien verbieten. Das aber gilt nicht im ÖV. In Zügen und Bussen kann oft nicht Abstand gehalten werden. Passagiere nehmen ihre Masken ab, um Gipfeli zu essen, unterhalten sich dabei. Schon vor einem Jahr hatte ich auf die Gefährlichkeit voll besetzter Verkehrsmittel hingewiesen. Auf kantonaler Basis wurden auch ein paar Vorsichtsmassnahmen getroffen. Definitive Lösungen für dieses Problem zu finden, ist nicht leicht.
Vor einem Jahr haben Sie im BLICK darum gebeten, an Ostern nicht in die Sonnenstube zu kommen. Wie lautet Ihre Botschaft heute?
Die Touristen dürfen kommen. Der Kanton braucht sie auch. Doch die Gäste müssen die Corona-Regeln befolgen, Abstand halten, Masken tragen, Hände waschen. Umsicht und Verantwortungsbewusstsein sind von grundlegender Bedeutung. Sie sollten Massenansammlungen meiden, lieber in den Bergen wandern als auf die Piazza gehen, wo viele Menschen sind. Es geht darum, eine Balance zu finden zwischen Gesundheit und Wirtschaft.