Öl läuft auf die Fahrbahn des Gotthardtunnels, überall liegen Blechteile und Scherben. Der Vereinsbus von Torpedo Ladenburg ist komplett zerstört. Die Bilder nach dem Unfall im Gotthard-Tunnel am Montag, der einen Mega-Stau zur Folge hatten, schockieren. «Und mittendrin waren schwerstbehinderte Menschen, denen niemand helfen konnte», sagt Paul Emmering (36).
Emmering ist Vorsitzender von Torpedo Ladenburg, einer Powerchair-Hockey-Mannschaft aus Heidelberg. Acht Mal wurden sie bislang deutscher Meister, über 30 verschiedene Titel hat Torpedo gewonnen. Am vergangenen Montag startet die Mannschaft eine Reise in die Toskana. Es steht ein Videodreh mit Sponsoren an, danach sollen ein paar Tage Ferien folgen.
Autofahrer zieht auf Gegenfahrbahn
Auf dem Weg nach Italien fährt der Mannschaftsbus auch durch den Gotthard-Tunnel. «Unserem Fahrer fiel dann plötzlich auf, dass ein Auto auf der Gegenfahrbahn immer weiter auf unsere Seite hinüberschwenkte», erzählt Emmering im Gespräch mit Blick. Der Busfahrer beginnt zu hupen, doch der Autofahrer reagiert lange nicht. Erst im letzten Moment reisst er das Steuer herum, verhindert einen Frontal-Crash – doch zu spät. Beide Fahrzeuge verunfallen.
Innert kürzester Zeit treffen die Polizei und die Feuerwehr am Unfallort ein: «Dann aber gab es schnell erste Probleme, denn die Tessiner Beamten haben nur Italienisch gesprochen.» Glücklicherweise habe die Rollstuhl-Rampe beim Bus noch funktioniert, sodass die Rollstuhlfahrer den zerstörten Mannschaftsbus verlassen konnten.
Feuerwehr hilft aus
Wie die schwerstbehinderten Personen aus dem Tunnel kommen sollen, weiss aber niemand. Ein behindertengerechter Bus ist nicht aufzutreiben. «Wir mussten immer wieder erklären, dass wir den Rollstuhl nicht verlassen können und man diesen auch nicht einfach hochheben kann – ein solcher Elektro-Rollstuhl wiegt rund 250 Kilo», sagt Emmering. Die Feuerwehr bietet notfallmässig ein Hydraulikfahrzeug auf, um die Personen in einen Lieferwagen heben und aus dem Tunnel transportieren zu können.
Der Rettungsdienst Tre Valli Soccorso, der bei dem Einsatz aufgeboten wurde, teilt gegenüber Blick mit, man verfüge nicht über Fahrzeuge für den Transport von Behinderten. Deshalb habe man sich aus Sicherheitsgründen entschieden, die Personen mit Hilfe der Feuerwehr aus dem Tunnel zu evakuieren.
Freunde holen die Gruppe nach Hause
Das Torpedo-Team wird auf die Tessiner Seite gebracht. Zufällig ist ein behindertengerechtes Fahrzeug in der Nähe, mit welchem die beiden Verletzten ins Spital gefahren werden können. Für die restlichen Personen gibt es keine Lösung. «Die Beamten meinten, sie könnten uns ins Hotel bringen. Den Rest müssen wir selbst organisieren. Ich hatte den Eindruck, dass sie mit der Situation überfordert waren», so Emmering. Menschen im Elektro-Rollstuhl seien zwar eine Minderheit. «Dass sich aber gar niemand verantwortlich fühlte, finde ich schon schockierend.»
Schliesslich kontaktiert Emmering Freunde in der Heimat. Diese fahren mit zwei ausgerüsteten Bussen von Heidelberg ins Tessin und holen das Rollstuhl-Team dort ab. Auch die zwei leicht verletzten Rollstuhl-Fahrer können die Heimreise antreten. «Sie waren glücklicherweise nur leicht verletzt – aber man stelle sich vor, sie hätten eine schwere Verletzung davon getragen. Ich weiss nicht, wie die Behörden dann reagiert hätten», so Emmering.
«Kann nicht sein, dass Behörden so überfordert sind»
Der zuständige Rettungsdienst sagt, man habe versucht, verschiedene Lösungen zu finden. Viele Anfragen bei Partnerstellen seien aber ergebnislos verlaufen. «Zu diesem Zeitpunkt bemühte sich unser leitender Sanitätsoffizier zusammen mit dem Feuerwehroffizier, eine Übernachtungsmöglichkeit zu finden und die Menschen dorthin zu begleiten.» Dies sei dann auch passiert.
Normalerweise könne man Personen mit Behinderungen problemlos transportieren, so der Rettungsdienst weiter. «Dass ein Patient gemäss eigenen Angaben nur in seinem Stuhl transportiert und nicht auf eine Trage gelegt werden kann, ist in den vergangenen 22 Jahren unserer Tätigkeit noch nie passiert», so der Rettungsdienst. Der primäre Auftrag bestehe darin, Leben zu retten. «Natürlich versuchen wir dabei auch, auf Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen – aber unsere Mittel sind begrenzt.»
Nach dem schweren Unfall steht die unmittelbare Zukunft des Vereins in den Sternen. Eine geplante Turnierteilnahme in Italien muss das Team wohl absagen.
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