Wie viel Leid kann ein Kind ertragen? Wie viel kann es begreifen, wenn das Schicksal derart grausam zuschlägt wie in einer Familie im Tessin? Zwei Buben und ein Mädchen verlieren innerhalb von zwei Jahren ihre Eltern. Mutter und Vater sterben in Gewaltverbrechen, die in keinem Zusammenhang stehen.
Der Albtraum begann am frühen Morgen des 11. Juli 2021. Die Fitness-Trainerin Selena K.* (†29) wurde in einer Wohnung in Emmenbrücke LU tot aufgefunden. Der Körper der Honduranerin, die im Tessin lebte, war mit Stichwunden übersät. Wenig später gelang es der Polizei, den Täter (35) zu fassen. Ein Deutschschweizer, der offenbar aus Eifersucht die Mutter der drei Kinder brutal tötete. Die Luzerner Staatsanwaltschaft forderte im Januar 2023 lebenslänglich. Der Prozess gegen Julian P.* wird noch erwartet.
Neuer Albtraum, als der Vater sich neu verliebte
Die Kinder kamen zum Vater. Davide K.* (†41) hatte einst Selena K. in die Schweiz gebracht. Doch ihre Ehe zerbrach. Im Maggiatal fanden sie eine neue Heimat. Der Papa war Hausmeister in einer Schule und sehr beliebt im Tal. Alles schien gut – bis sich der Tessiner wieder verliebte.
Seine neue Freundin arbeitete als Köchin in der Schulmensa, berichten Tessiner Medien. Hier geschah das zweite grauenvolle Verbrechen. Am Donnerstagmorgen stürmte ein Mann (42) mit einer Schusswaffe in der Hand die Schule und schoss auf den Hausmeister. Davide K. erlag wenig später seinen schweren Verletzungen.
Der Täter, ein gebürtiger Süditaliener mit Schweizer Pass, wurde noch am gleichen Tag einige Kilometer vom Tatort entfernt in einem Supermarkt verhaftet. Er war früher mit der Köchin liiert und konnte offenbar nicht ertragen, dass die Ex nun einen neuen Freund hatte.
Hätte Blutbad verhindert werden können?
Der Gewaltausbruch hatte sich schon vor Monaten über zum Teil verstörende Posts in den sozialen Netzwerken angekündigt. Doch niemand glaubte daran, dass Michele P.* tatsächlich zur Tat schreiten würde.
So schrieb der Kleinunternehmer im April auf Facebook: «Du sprichst schlecht von mir. Du ziehst meinen Namen in den Dreck, du lachst mich aus. Ich hasse dich nicht. Aber bete zu Gott, dass ich nicht auf die Dämonen höre, die in meinem Kopf sind.»
In anderen Posts drohte er: «Lache nicht, weil ich gestürzt bin, sondern fliehe, weil ich wieder aufstehe.» Er bezeichnete sich in Mafia-Manier als einen «Mann der Ehre» und zitierte vielsagende Redewendungen wie «Denk dran, das Leben ist wie ein Restaurant. Niemand geht, ohne zu zahlen».
* Namen geändert