Die Zeiten der Betriebspensionskassen sind vorbei. Heute dominieren Sammelstiftungen den PK-Markt – Gemeinschaftseinrichtungen, an die jeweils zwischen einem Dutzend und mehreren Hundert Firmen angeschlossen sind. Sie verwalten das Vorsorgegeld von 75 Prozent aller Versicherten.
Die Sammelstiftungen wollen weiter wachsen – und der Wettbewerb ist knallhart: Sie jagen sich gegenseitig Firmen ab, um ihre Versichertenbestände zu vergrössern. Dafür setzen sie auf sogenannte Broker. Diese Vermittler beraten Arbeitgeber, die eine Pensionskasse für ihr Unternehmen suchen.
Heutiges Modell «nicht im Interesse der Versicherten»
Für die Broker ist das ein lukratives Geschäft: Sie kassieren insgesamt 300 Millionen Franken pro Jahr. Geld gibt es nicht nur beim Anschluss einer neuen Firma. Denn danach fliessen auch noch jährliche Provisionen, die sich am Prämienvolumen oder am Vorsorgekapital bemessen. Die Rechnung bezahlen die Pensionskassen – aus dem Vorsorgevermögen der Versicherten. Ein Viertel der gesamten Verwaltungskosten geht für die Broker drauf. Tendenz steigend. «Dabei wären die Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, für diese Kosten aufzukommen», sagt Eliane Albisser (37), Geschäftsführerin vom PK-Netz, das die Interessen der Arbeitnehmenden in der zweiten Säule vertritt. «Dann würden sie den Brokern auch genauer auf die Finger schauen.» Das sei nämlich bitter nötig, sagt Albisser. «Das System verleitet die Broker dazu, den Firmen jene Pensionskassen zu empfehlen, die die höchsten Provisionen zahlen. Verlierer sind die Versicherten.»
Dem stimmt sogar der Pensionskassenverband Asip zu: Provisionen seien verkehrt, weil der Auftraggeber nicht die zahlende Partei sei, sagt Asip-Präsident Hanspeter Konrad (63). Das Problem erledige sich von selbst, wenn stattdessen der tatsächliche Aufwand der Broker in Form von Honoraren entschädigt werde – und zwar vom Arbeitgeber. «Das heutige Modell ist nicht im Interesse der Versicherten, nicht mit dem Vorsorgezweck vereinbar und somit vorsorgerechtlich nicht zulässig.»
Bundesrat will Gesetzesänderung
Warum machen die Pensionskassen dann trotzdem mit in diesem Spiel? «Sie sind Gefangene des Systems», sagt Konrad. «Wenn sie wachsen wollen, sind sie zum Mitmachen gezwungen. Sonst haben sie im Wettbewerb keine Chance.»
Auch Innenminister Alain Berset (49) nennt das System «problematisch». Deshalb will der Bundesrat das Gesetz ändern: Künftig sollen die Arbeitgeber die Broker bezahlen, und zwar mit einmaligen Honoraren statt regelmässigen Provisionen.
Broker wehren sich
Jetzt blasen die Broker zum Gegenangriff. «Es ist unanständig und asozial, pauschale Behauptungen über einen ganzen Berufsstand in die Welt zu setzen!», findet Markus Lehmann (66), Präsident des Verbands Schweizerischer Versicherungsbroker (Siba). Noch nie habe ihm jemand einen Fall gezeigt, bei dem ein Broker wegen Provisionen zum Nachteil der Versicherten agiert habe. Überhaupt solle jede Firma selber entscheiden, welche Vergütungsart sie bevorzuge. «Alles andere geht Richtung Kommunismus.»
Die markigen Worte des Broker-Präsidenten kommen nicht von ungefähr: Morgen stimmt der Nationalrat über die bundesrätliche Vorlage ab. Und Lehmanns Chancen stehen gut: Obwohl eine breite Allianz von der Regierung über die Arbeitnehmervertreter bis zu den Pensionskassen Handlungsbedarf reklamiert, legte schon der Ständerat ein klares Veto ein. Die nationalrätliche Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit tat es ihm gleich: SVP, FDP, Mitte und GLP stellen sich geschlossen gegen eine Reform der Broker-Entschädigungen.
Nur Linke und Grüne dafür
«Broker schaffen einen Mehrwert für Arbeitgeber und Angestellte», begründet FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt (27) die bürgerliche Ablehnung. «Ausserdem ist es nicht Aufgabe des Gesetzgebers, die Vergütungsart einer Dienstleistung zu bestimmen. Wir können nicht alles an die Politik delegieren, sonst regulieren wir den Vorsorgemarkt kaputt.»
Einzig Linke und Grüne unterstützen den Bundesrat. «Wir sind isoliert», sagt SP-Nationalrätin Barbara Gysi (57). Dabei sei die Sache ganz einfach: «Wenn die Beratung der Firmen davon abhängt, wie viel die Broker abkassieren, läuft etwas schief.» Aber es gehe eben um sehr viel Geld. «Die Macht der Finanzlobby im Bundeshaus ist ungebrochen.» Überrascht ist Gysi von der Haltung der Grünliberalen: «Ich verstehe nicht, warum sie sich hier auf die Seite der Versicherungsbranche schlagen.»
Auch GLP kritisch
Dazu sagt GLP-Nationalrätin Melanie Mettler (44): «Der Vorschlag des Bundesrats löst das Problem nicht. Dann gehen die Schwergewichte im Markt einfach direkt auf die Arbeitgebenden zu. Deren Unabhängigkeit wird aber nicht grösser, wenn die Broker wegfallen.»
Ein Brokersterben wäre kaum zu erwarten, entgegnet Eliane Albisser vom PK-Netz. «Der Beratungsbedarf bliebe vorhanden. Bei den Anforderungen an die Broker muss aber zwingend die Schraube angezogen werden.» Tatsächlich offeriert der Berufsverband der Versicherungswirtschaft (VBV) ein Finma-zertifiziertes Vermittlerdiplom, das mit einem zweiwöchigen Kurs erlangt werden kann. Das sei eine zweifelhafte Schnellbleiche, findet selbst ein Broker, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Eliane Albisser sagt: «Es ist schon fragwürdig, mit einem solchen Diplom in der Tasche hohe Provisionen für Beratungen zu kassieren.»
Einjährige Zusatzausbildung
Die Ausbildung sei in der Tat mangelhaft, sagt Brokerpräsident Lehmann. «Darum haben wir bereits eine einjährige Zusatzausbildung zum diplomierten Vorsorgeberater ins Leben gerufen.»
Interessenten gibt es genug: Über 2000 Broker tummeln sich schon auf dem Schweizer PK-Markt. Die Mehrheit des Parlaments verteidigt ihr Geschäftsmodell. Die Provisionen werden wohl weiter fliessen.
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