Am Donnerstag verschickte der Zürcher Turnverband (ZTV) eine dürre Medienmitteilung: Der Chef Spitzensport, Marc Hansen, wurde entlassen. Doch hinter der Kurzmeldung steht ein hässlicher Machtkampf im Zürcher Turnsport.
Auf der einen Seite der ZTV-Zentralvorstand mit Marc Hansen. Sie feuerten im Mai den Cheftrainer des Männer-Kunstturnens, Christian Grossniklaus, wegen «unüberbrückbarer Differenzen».
Dicke Luft im Zürcher Turnverband
Auf der anderen Seite 19 langjährige Funktionäre und Vereinsleiter. Sie stellten sich hinter Grossniklaus und traten in einen Streik, um die Rückkehr des Trainers sowie die Absetzung von Hansen und der Verbandsführung zu erzwingen. Hansen fahre das Zürcher Kunstturnen an die Wand, klagten sie, im Verband herrsche eine «beispiellose Führungskrise».
Der Streik zeigte Wirkung: Der ZTV-Zentralvorstand knickte ein, entzog Hansen die Unterstützung, stellte ihn erst kalt und hat ihn nun entlassen. Zudem haben mehrere Personen aus Vorstand und Geschäftsleitung den Hut genommen. Die Rebellen haben den Machtkampf gewonnen. Einzig die Forderung nach einer Rückkehr von Cheftrainer Grossniklaus wird nicht umgesetzt. Und das könnte gute Gründe haben, wie Recherchen von SonntagsBlick zeigen.
Vorwürfe sind nicht neu
Dem Coach wurde bereits vor zwei Jahren bei einer Zoom-Aussprache mit Hansens Vorgänger und Eltern von Turnern schwerwiegendes Fehlverhalten vorgeworfen. SonntagsBlick weiss: Es ging um psychische Gewalt, die der Cheftrainer ausgeübt haben soll. Von einer «Kultur der Angst» war die Rede, die Athleten hätten Guetzli-Verbot gehabt und seien systematisch Gewichtskontrollen unterzogen worden. Die Angst vor Bestrafung sei allgegenwärtig gewesen. Der ZTV ist denn auch ein Thema bei der Meldestelle für Ethikverstösse, Swiss Sport Integrity (SSI).
Dort bestätigt der Chef auf Anfrage, dass mehrere Meldungen zum ZTV eingegangen seien, denen derzeit nachgegangen werde. Zum Inhalt der Meldungen äussert sich die SSI nicht. Klar ist: Auch der Name Grossniklaus taucht darin auf. Dieser schreibt SonntagsBlick, er habe mit der SSI ein Gespräch geführt. «Dort konnte vieles richtiggestellt werden.» Er bestreitet die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Ein Klima der Angst habe es in Rümlang ZH nicht gegeben. Ebenso wenig Ernährungsvorschriften. Gewicht und Körpergrösse seien bloss zweimal jährlich gemessen worden, um einen Überblick über die körperliche Entwicklung der Athleten zu erhalten.
Verbandspräsidentin Sabrina Berri teilt mit, sie könne die Vorwürfe gegen Grossniklaus nicht bestätigen. Die Trennung habe andere Gründe gehabt – nennen will sie diese nicht. Im «Tages-Anzeiger» wurde die Entlassung mit «unterschiedlichen Ansichten bezüglich des Werteversprechens des Verbandes» begründet.
Mit den Vorwürfen konfrontiert, geht der Beschuldigte in den Gegenangriff. Christian Grossniklaus nennt seine Kündigung einen «willkürlichen Entscheid». Er verweist auf die grosse Solidarität, die er von Eltern, Turnern, Trainern und Funktionären erfahren habe. Der Trainer lässt kein gutes Haar an der Arbeit von Hansen und der Verbandsspitze. Seine Gegner hätten vieles kaputtgemacht, worunter der Betrieb im Leistungszentrum bis heute leide.
Schweizer Turnverband weiss von nichts
Grossniklaus arbeitet inzwischen bei der «Turnfabrik» in Frauenfeld, ab Oktober ist er zudem in einem 50-Prozent-Pensum als Sichtungstrainer im U12-Bereich beim Schweizerischen Turnverband (STV) tätig. Wusste der STV bei der Anstellung über die Vorwürfe wegen psychischer Gewalt gegen Grossniklaus Bescheid?
Der STV verweist auf Anfrage auf die standardisierten Backgroundchecks, die bei Anstellung von Trainern durchgeführt werden. Im Fall von Grossniklaus seien die Ergebnisse positiv gewesen. Auch sei der STV von der SSI nie über ein laufendes Verfahren informiert worden. Somit habe einer Einstellung von Grossniklaus nichts im Wege gestanden.
Nicht zu seinem Rauswurf und zum Machtkampf beim ZTV äussern will sich der am Donnerstag entlassene Marc Hansen. Der Deutsche wurde erst im Juni 2022 angestellt – mit dem Auftrag, einen Werte- und Kulturwandel im Zürcher Turnsport voranzutreiben. Bei seinem unfreiwilligen Abgang gut ein Jahr später steht der Zürcher Turnsport vor einem Scherbenhaufen.
Der Machtkampf im Zürcher Turnverband
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