Auf einen Blick
«Elender Schafseckel», «verdammter Tüpflischiisser» oder «grusiger Säuniggel»: Das hört niemand gern. Doch wer die Polizei darauf ansetzen will, muss neuerdings etwas bezahlen. Die Staatsanwaltschaften können seit Anfang 2024 einen Vorschuss verlangen, wenn jemand ein Ehrverletzungsdelikt anzeigt. Der Beobachter hat darüber berichtet. Damit wollte das Parlament der Flut an Strafanträgen entgegenwirken – und die Antragsteller damit etwas abschrecken.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Denn bei Ehrverletzungsdelikten geht es den Betroffenen oft bloss um persönliche Rache. Ziel der Regelung ist es also, die Staatsanwaltschaften zu entlasten.
Der Beobachter hat bei einigen Staatsanwaltschaften nachgefragt, wie sie den neuen Passus handhaben.
- Machen sie überhaupt von der neuen Möglichkeit Gebrauch?
- Wie setzen sie die Höhe des Vorschusses fest?
- Und zahlen die Antragsteller auch?
Die Staatsanwaltschaften sind nicht verpflichtet, überhaupt etwas zu verlangen. Auch darüber, wie viel sie verlangen, können sie grundsätzlich frei entscheiden.
Antragsteller werden oft zur Kasse gebeten
Es ist also sehr gut möglich, dass man Sie zunächst zur Kasse bittet, wenn Sie sich gegen die unflätige Nachbarin, den unverschämten Arbeitskollegen oder wutentbrannte Passanten wehren wollen. Denn die meisten angefragten Kantone machen konsequent von der neuen Möglichkeit Gebrauch.
Aber: Die meisten Staatsanwaltschaften achten auf den Einzelfall. Im Kanton Basel-Landschaft muss man unter Umständen nichts vorschiessen, wenn die Vorwürfe in einem Kontext zu Stalking, häuslicher Gewalt oder Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte stehen. Oder wenn neben der Ehrverletzung weitere Tatvorwürfe abgeklärt werden müssen.
Im Kanton Bern wiederum wird berücksichtigt, ob die betroffene Person auch zivilrechtlich etwas von der Übeltäterin fordert. Dann muss sie eine Sicherheit leisten. Ansonsten wird man grundsätzlich nur dazu verknurrt, wenn man das Verfahren mutwillig oder grobfahrlässig angezettelt hat.
Und Basel-Stadt verzichtet unter Umständen auf den Vorschuss, wenn noch andere Vorwürfe gegen dieselbe Person im Raum stehen und die Ehrverletzung bloss eine untergeordnete Bedeutung hat. Wenn auch Offizialdelikte angezeigt werden, wird keine Sicherheitsleistung verlangt.
Der Vorschuss ist unterschiedlich hoch
Doch wie viel muss man hinblättern, damit der Sittenstrolch oder die Wutbürgerin auch tatsächlich aufs Revier zitiert und eine Strafuntersuchung eröffnet wird? Auch das kommt auf den Kanton an.
In den Kantonen Zug sowie Basel-Stadt muss man mit 800 Franken rechnen, im Thurgau mit 1000 Franken.
Im Kanton Zürich schauen die Staatsanwaltschaften, wie die finanziellen Verhältnisse der antragstellenden Person sind. Wenn diese offensichtlich in bescheidenen Einkommens- und Vermögensverhältnissen lebt, muss sie normalerweise 1100 Franken vorschiessen.
Ohne Hinweise auf besonders gute oder besonders bescheidene Verhältnisse werden 1600 Franken verlangt, besonders gut Betuchte müssen 2100 Franken abdrücken.
In Bern ist es egal, wie arm oder reich man ist. Vielmehr spielt es eine Rolle, um welches Delikt es geht und welche Ausgaben zu erwarten sind.
Wer einmal beschimpft wurde, muss normalerweise zwischen 1000 und 1500 Franken vorschiessen. Falls eine einzige üble Nachrede der Stein des Anstosses ist, sind es zwischen 1200 und 1800 Franken. Und wer eine einmalige Verleumdung behauptet, muss mit einem Vorschuss von 1400 bis 2000 Franken rechnen.
Bei besonders krassen Anschuldigung oder wiederholten Ehrverletzungen erhöht sich der Betrag um den Faktor 1,2 bis 1,5.
Sowohl Zürich als auch Bern rechnen mit einem Zuschlag von 1500 Franken, wenn die beschuldigte Person einen Anwalt oder eine Anwältin genommen hat. Beide betonen, dass sie von ihren Schemata abweichen, sofern es sich sachlich begründen lässt.
Bei der Staatsanwaltschaft St. Gallen kommt es darauf an, wie viel Geld man hat und worum es geht.
Wer dort eine Ehrverletzung verfolgt haben will, muss grundsätzlich mit einem Vorschuss von «mindestens 500 Franken» rechnen, heisst es auf Anfrage des Beobachters. Verlangt wird er dort nur, wenn die Antragstellerin persönliche Vergeltung sucht und nicht die Verletzung ihrer Rechtsgüter im Vordergrund steht. Das werde im Einzelfall geprüft.
Auch Graubünden berücksichtigt die Bedeutung der Sache und die finanziellen Verhältnisse. In der Regel werden 1500 Franken verlangt. Wer wenig Geld hat, kann mit 1000 Franken rechnen, wer viel hat, mit 2000 Franken.
So oder so: Wer mittellos ist, kann ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege stellen – und sich so auch vom Vorschuss befreien. Das Gesuch wird gutgeheissen, wenn man als antragstellende Person nicht in der Lage ist, die erforderlichen Geldmittel zu beschaffen und wenn die Ansprüche nicht von vornherein aussichtslos erscheinen.
Werden die Vorschüsse bezahlt?
Wenn Betupfte und in ihrer Ehre Verletzte nicht zahlen wollen, bekommen sie kein Strafverfahren. Der Strafantrag gilt als zurückgezogen.
Nicht alle angefragten Staatsanwaltschaften äussern sich dazu, in wie vielen Fällen die Antragsteller nicht bezahlen – und damit zähneknirschend auf die Strafverfolgung verzichten. Denn genaue statistische Auswertungen dazu fehlen.
In Basel-Landschaft scheinen die meisten den Vorschuss zu leisten – zumindest zum Zeitpunkt unserer Anfrage. Die Sicherheit sei in 17 Fällen verfügt und nur einmal nicht bezahlt worden. Im Kanton Zug hingegen wurde nur die Hälfte der 24 Strafverfahren geführt, der Rest habe nicht gezahlt.
Im Thurgau wurde die Rechnung 26-mal verschickt und fünfmal nicht bezahlt. In der Summe kann davon ausgegangen werden, dass der verlangte Vorschuss tatsächlich abschreckend wirkt – zumindest auf einen Teil der Antragstellenden. Eine schlüssige Beurteilung wird allerdings erst in Zukunft möglich sein, wenn das Gesetz noch etwas länger in Kraft ist.
Die Anzahlung ist nicht verloren
Wer den verlangten Betrag bezahlt und damit an seinem Strafantrag festhält, hat das Geld aber nicht unbedingt verloren. Denn das Gesetz sieht nur in Ausnahmefällen vor, dass die Antragstellenden Kosten übernehmen müssen. Normalerweise bekommt man den Betrag also wieder zurück, nachdem das Verfahren abgeschlossen ist.