Psychologin erklärt, wie man mit Impfskeptikern umgeht
«Wer sich in die Enge gedrängt fühlt, kann sich radikalisieren»

Was tun, wenn sich die Freundin oder der Onkel als Impfgegner entpuppen? Psychologin Susanne Schaaf gibt Tipps.
Publiziert: 25.07.2021 um 19:51 Uhr
|
Aktualisiert: 25.07.2021 um 19:54 Uhr
1/6
Susanne Schaaf (56) leitet die Informations- und Beratungsstelle Infosekta, an die sich Angehörige von Sektenanhängern und Verschwörungstheoretiker wenden können. Beim Beratungstelefon der Psychologin gehen seit Corona immer mehr Anfragen ein.
Foto: Thomas Meier
Camille Kündig

Sommerabende voller hitziger Diskussionen: Die Covid-Impfung spaltet aktuell Familien und Freundschaften. Denn während die Fallzahlen in der Schweiz rasant steigen, stottert die Impfquote. Erst 44 Prozent der Schweizer Bevölkerung ist vollständig gepikst und im Herbst droht die vierte Welle anzurollen. Während die Geimpften ihre frisch erworbenen Freiheiten abermals in Gefahr sehen, wenn die Nichtgeimpften jetzt nicht mitziehen, fühlen sich Impfzögerer und Impfgegner unter Druck gesetzt. Die Debatten werden spürbar emotionaler.

Sonntagsblick: Frau Schaaf, mir wurde diese Woche von einer Bekannten gesagt, ich dürfe mich dann als junge geimpfte Frau nicht wundern, später ein behindertes Kind zur Welt zu bringen. Was antwortet man da?
Susanne Schaaf: Das ist eine implizite Anklage. Ihnen wird Angst gemacht und eine gewisse Schuld zugeschrieben. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob man sich überhaupt auf ein Gespräch einlassen will. Das muss jeder für sich entscheiden. Wenn es eine gute Freundin ist, kann man es versuchen und zum Einstieg fragen: «Warum sagst du mir das so?» Wenn es sich um eine ferne Bekannte handelt, muss man sich überlegen, ob man sich hier engagieren will.

Fühlen sich Menschen, die Zweifel haben, sich impfen zu lassen, in die Enge getrieben?
Mit dem Impfobligatorium für Pflegende und der restriktiven Handhabung in Frankreich sowie den steigenden Fallzahlen wächst der gesellschaftliche Druck auf Impfkritiker. Für sie ist es zunehmend schwierig, ihren Standpunkt zu vertreten, und ich gehe davon aus, dass viele angefeindet werden. Problematisch ist: Wenn sich jemand immer stärker auf «verlorenem Posten» sieht, kann das seine Rolle als «Warnender» verstärken. Wer sich in die Enge gedrängt fühlt, kann seine Position radikalisieren.

Der Knackpunkt ist: Der Impfentscheid ist zwar ein individueller, die Auswirkungen sind allerdings kollektiv. Sich darauf zu einigen, dass man sich uneinig ist, ist daher für viele Geimpfte keine Option ...
... und hier liegt die Schwierigkeit. Es gibt keine einfache Lösung. Es ist grundsätzlich immer besser, im Gespräch zu bleiben. Aber das verlangt viel Zeit und Energie. Grundsätzlich muss man zwischen impfunsicheren Personen und kategorischen Impfgegnern mit verschwörungs- mythischer Argumentation unterscheiden. Letztere fühlen sich nicht sicher in der Gesellschaft, sie misstrauen den Behörden und der Wissenschaft. Sie unterstellen bei einer unglücklichen Kommunikation des Bundes den Behörden rasch Vorsätzlichkeit und gezielte Missinformation. Gerade bei ihnen spielen Angehörigen oder Freunde eine entscheidende Rolle. Wenn sie ihre Angehörigen schätzen und ihnen vertrauen, während die Informationen von den Behörden sie oft gar nicht mehr erreichen und sofort als suspekt gebrandmarkt werden, besteht eine gewisse Chance.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Die Diskussionen zerren teils an den Nerven. Gerade wenn sich jemand wegen wirrer Theorien nicht impfen lässt, rutscht schnell ein «Von wo hast du denn das schon wieder her?!» raus ...
Im Gespräch gibt es einige Dinge zu beachten, damit sich die Fronten nicht weiter verhärten. Kontraproduktiv ist wie bei jedem Konflikt ein provokativer Ton sowie die Ängste der Gegenseite nicht ernst zu nehmen oder sie abzuwerten. Denn das ist ja der wunde Punkt: Sie fühlen sich nicht ernst genommen. In der Beratung erlebe ich oft, dass Menschen, wenn man ihnen den Raum für ihre Ängste und Sorgen gibt und sie nicht ständig unterbricht, offener für Einwände werden.

Wie also soll man konkret vorgehen?
Viel nachfragen ist gut und versuchen zu konkretisieren: Wovor hast du Angst? Oder wenn Verschwörungstheorien involviert sind: Wer ist diese «Elite», die die Kontrolle über die Bevölkerung erlangen will? Was ist deren Plan? Wenn man Hintergründe und Motive versteht, kann man da einhängen und anbieten, zusammen Informationen zu recherchieren. Wichtig ist, dass die Diskussion nicht zum konfrontativen Pingpong wird. Auch den anderen nur mit Links zu Drosten-Interviews einzudecken, bringt wenig. Das ist natürlich einfacher gesagt als getan, wenn man persönlich betroffen und emotional involviert ist.

Was tun, wenn der Onkel plötzlich Parallelen zur Nazi-Zeit zieht?
Hier wird eine rote Linie überschritten. Studien zeigen: Gerade wenn ein solcher Kommentar öffentlich gemacht wird, etwa auf Facebook, ist es sinnvoll zu reagieren, damit die Community sieht, dass dieser nicht ohne Kontra stehengelassen wird. Aus psychologischer Sicht könnte man sagen, dass der Vergleich mit einer Diktatur dem subjektiven Bedrohungsgefühl entspricht. Daher sollte man auch hier das persönliche Gespräch suchen.

Wann sollte man bei einer Fachstelle Hilfe einholen?
Das ist individuell verschieden. Die Entwicklung zu einer verschwörungsmythischen Position ist ein Prozess. Man will dem anderen ja einen gewissen Spielraum lassen. Gerade bei Paaren löst die Diskussion extreme Loyalitätskonflikte aus: Wie reagiert man, wenn der Ehemann beim Abendessen bei Freunden plötzlich von implantierten Mikrochips spricht? Viele Betroffene kommen erst in die Beratung, wenn gar kein Gespräch mehr möglich ist oder bereits die Trennung bevorsteht – früher wäre besser. Wenn man nicht sofort zu einer Fachstelle will, kann man versuchen, zunächst eine neutrale Drittperson beizuziehen. Der Fokus sollte dann dorthin gerichtet werden, wo der Verschwörungsgläubige noch erreichbar ist: eine Seniorin wollte sich zum Beispiel nicht impfen lassen und den Kontakt zu geimpften Angehörigen abbrechen, bis sie realisierte, dass sie dann auch keinen Kontakt mehr zum geliebten Enkel hätte.

Viele Impfgegner glauben eher einem Youtuber als einem Forschungsinstitut. Warum?
Im Gegensatz zur Wissenschaft liefern Verschwörungsmythen vermeintlich klare Antworten und absolute Gewissheit. Das kann für manche Leute attraktiv sein. Ausserdem stösst man bei wissenschaftlichen Artikeln schnell an Wissensgrenzen, weil die Materie komplex ist und es ein gewisses Vorwissen und Verständnis braucht. Hier trägt der Wissenschaftsjournalismus eine wichtige Verantwortung.

Laut einer Studie der Uni Basel glaubt inzwischen fast jeder Dritte an Corona-Mythen ...
Anders als bei Verschwörungstheorien zu 9/11 oder Flat-Earth-Vorstellungen liest oder hört man fast jeden Tag irgendwo eine seltsame Covid-Theorie, oft mit einem halbwegs wissenschaftlich anmutenden Argument. Ausserdem findet die Bedrohung nun quasi vor unserer Haustüre statt und hat einen direkten Einfluss auf unser Leben. Viele Impfgegner interessieren sich zudem für Esoterik und Naturheilkunde und waren bereits vor der Pandemie gegenüber der Schulmedizin kritisch eingestellt.

Und die anderen?
In der Beratung sehen wir auch Menschen, die vor Corona Verschwörungsmythen und Fake News gegenüber sehr kritisch eingestellt waren, jedoch durch die Pandemie fundamental verunsichert wurden. Da sie zum Beispiel wegen Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit keine Tagesstruktur mehr hatten, surften sie stundenlang im Internet nach Erklärungen, bis sie irgendwann abdrifteten. Das zeigt: Unter bestimmten Bedingungen können Verschwörungsmythen einen Sog entwickeln.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?