Wie der Ex-Raiffeisen-Chef die Fäden zog
Das System Vincenz

Er war umgeben von schwachen Verwaltungsräten, willfährigen Topmanagern und Compagnons mit Eigeninteressen.
Publiziert: 04.03.2018 um 15:54 Uhr
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Aktualisiert: 16.04.2022 um 17:37 Uhr
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René Lüchinger

St. Gallen, Anfang September 2012: Pierin Vincenz tritt an der Universität St. Gallen auf. Der Raiffeisen-Chef projiziert ein Bild an die Wand. Darauf zu sehen: das alte, leicht verstaubte Raiffeisen-Logo der «Buure»-Bank mit Ähre und Schlüssel. Daneben das neue Logo in Rot. Darunter einen neu kreierten Brand der Notenstein Privatbank. Gerade hat er das Schweizer Geschäft der Wegelin übernommen, dieses auf Notenstein umfirmiert. Seine genossenschaftliche Hypobank ist modernisiert und mit der Aura der Privatbanquiers vermählt. Pierin Vincenz steht im Zenit.

Zürich, 3. März 2018: Pierin Vincenz sitzt in U-Haft. Es droht ihm ein Verfahren wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung. Für den Ex-Banker gilt die Unschuldsvermutung. Pierin Vincenz steht am Tiefpunkt.

Die Büchse der Pandora war geöffnet

Alles begann mit Berichten des Finanzblogs «Inside Paradeplatz», den der preisgekrönte Journalist Lukas Hässig betreibt. Als Erster schrieb er über geheime Zahlungen rund um Pierin Vincenz. Hat sich der Banker persönlich bereichert, indem er sich privat an Firmen beteiligt hatte, die später von Raiffeisen oder der Aduno-Gruppe übernommen wurden? Bei Ersterer war Vincenz bis 2015 CEO, bei Letzterer ist die Genossenschaftsbank grösste Aktionärin und Vincenz war bis 2017 Präsident des auf bargeldloses Zahlen spezialisierten Finanzdienstleisters. Die Büchse der Pandora war geöffnet: Die Finanzmarktaufsicht Finma eröffnete ein Verfahren, Aduno erstattete Strafanzeige gegen Vincenz.

Schlagartig kommt nun ein «System Vincenz» ans Licht, mit dem der ehemalige Chef der drittgrössten Schweizer Bankengruppe über Jahre innerhalb und ausserhalb der Raiffeisen seine Fäden gezogen hatte. Noch ist nicht klar, ob er dabei gegen Gesetze verstossen hat. Klar ist indes: Er herrschte wie ein absoluter König in seinem Reich, war umgeben von schwachen Verwaltungsräten, willfährigen Topmanagern und Compagnons mit Eigeninteressen. All das könnte nun auf Pierin Vincenz zurückfallen.

Beispiel Investnet, eine Beteiligungsgesellschaft, heute Raiffeisen-Tochter: Als sich Pierin Vincenz 2015 mit 15 Prozent daran beteiligen wollte, nickte dies das Aufsichtsgremium der Bank brav ab. Heute steht die Firma im Fokus der strafrechtlichen Ermittlungen. Es geht um die Frage, ob Pierin Vincenz bereits 2012 direkt oder indirekt mit von der Partie gewesen war, als die Investnet-Gründer entschieden, die Firma an Raiffeisen zu verkaufen, und ob er dabei kassiert hatte. «Vincenz’ Raiffeisen-Nachfolger Patrik Gisel sprach diese Woche von möglichen ‹ verdeckten Treuhandgeschäften in unseren Beteiligungen › », sagt Rechercheur Lukas Hässig. «Er meint damit die Investnet.» Der Raiffeisen-Verwaltungsrat blieb ahnungslos. Dort sitzen neun honorige Herren und eine Dame. Professoren, Politiker, Verbandsfunktionäre, ja gar Personen, die in Organen von Raiffeisen-Regionalgenossenschaften sitzen – keiner jedenfalls, der einer Saftwurzel wie Vincenz Paroli bieten könnte.

Gisel markiert Distanz

Beispiel iFinance in Zug: Über diese Gesellschaft sollen die krummen Geschäfte mit Beteiligungen gelaufen sein, die dann der Raiffeisen oder der Raiffeisen-Tochter Aduno untergejubelt worden sind. «Soweit ich heute sehe», urteilt Hässig, «war iFinance das Herzstück der versteckten Geldflüsse.» Neben Vincenz sitzen nur zwei Männer bei diesen Deals im Driver-Seat: Beat Stocker, ehemaliger CEO der Aduno-Gruppe, ein Hinterhof-Dealmaker, der nun auch in U-Haft sitzt; und Beat Barthold, ein smarter Typ, der wie eine Spinne in diesem Netz sass. Der Partner bei der US-Kanzlei Baker & McKenzie war immer zur Stelle, wenn es galt, juristisch wasserdichte Verträge aufzusetzen. Barthold war Gründer und einziger Verwaltungsrat von Vincenz’ Geheimvehikel iFinance. Auch er fungiert heute als Beschuldigter.

Eine prominente Nebenrolle in diesem Theater bekleidet der heutige Raiffeisen-CEO Patrik Gisel: jahrelang der Schatten des grossen Chefs. Vincenz hat ihm nie vergessen, dass er ihm in der Bank den Rücken freigehalten hatte, als seine erste Frau an einem Hirnschlag gestorben war. Dafür durfte Gisel Nachfolger werden. Und jetzt, wo Strafanwälte aktiv sind, markiert Gisel Distanz zu seinem Karriere-Macher. l

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