So nah und doch so fern: Der gefallene Raiffeisen-König Pierin Vincenz (61) schmorte gestern seinen vierten Tag im Knast bei der Zürcher Kaserne. Und dort bleibt er auch: Die Zürcher Justiz hat U-Haft gegen ihn und einen Mitbeschuldigten angeordnet.
Einen Kilometer entfernt im edlen Hotel Park Hyatt dagegen inszenierte sich am Vormittag sein Ziehsohn und Nachfolger auf dem CEO-Thron, Patrik Gisel (55): Anlässlich der Bilanzmedienkonferenz stellte er sich kritischen Fragen und trat gegen Vincenz – der nach der Anzeige gegen ihn vom Mittwoch durch Raiffeisen ohnehin schon am Boden liegt – verbal nach, demütigte ihn gar.
«Es fanden verdeckte Treuhandgeschäfte bei unseren Beteiligungen statt, die wir nicht sehen konnten», sagt er. Ausgedeutscht: Gisel beschuldigt Vincenz, er habe die ganze Bank einschliesslich ihn selbst hinters Licht geführt. Konkret: Über Strohmänner hielt er Aktien an Firmen wie Investnet in Herisau, welche die Raiffeisen dann auf seine Initiative hin übernahm. Die Firma legte dadurch an Wert zu – und Vincenz’ Portemonnaie ebenfalls.
Ein weiterer Grund für Gisel, zu seinem ehemaligen Freund Vincenz, dem er seine ganze Karriere verdankt, auf Distanz zu gehen: Er steht selbst stark unter Druck. «Er wird nicht kündigen, aber vielleicht kündigt der Verwaltungsrat ihm», tippt Bankenprofessor Hans Geiger (74) darum. «Wenn Raiffeisen kein Ersatzpersonal hat, wird Gisel sicher in drei Monaten noch im Amt sein – aber in einem Jahr nicht mehr.»
Der Hauptvorwurf: Als Vincenz bei Investnet abkassiert haben soll, war Gisel deren Verwaltungsratspräsident. Zudem war er seit 2002 Stellvertreter des CEO.
Hätte er die unlauteren Deals nicht entdecken müssen? «Nein, so wie das Ganze im Moment aussieht, konnten wir das nicht sehen. Diese Geschäfte wurden bewusst verdeckt», sagt Gisel heiser. Immer wieder wirft er während der Medienkonferenz Tabletten gegen den Stimmverlust ein. Gegen Schnupfen hilft ihm ein Nasenspray.
«In den letzten Tagen hat mich eine lästige Grippe eingeholt», erklärt Gisel. Er ist angeschlagen, in jeder Hinsicht. Er sagt jedoch auch: «Ich glaube, das Vertrauen in mich ist immer noch da.» Rücktritt sei für ihn kein Thema. Es ist ein Tag, an dem sich alles nur um den Vincenz-Bschiss dreht, obwohl der ursprüngliche Anlass für die Medienkonferenz die Zahlen des Geschäftsjahrs 2017 gewesen waren. Randnotiz: Es lief der Raiffeisen sehr gut. Mit 917 Millionen Franken fuhr sie sogar einen Rekordgewinn ein.
Schon vor dem Anlass bittet die Raiffeisen-Sprecherin, keine Fragen zur Affäre Vincenz zu stellen. Und erreicht damit nicht das Geringste. Während der Medienkonferenz weist sie wiederholt auf ihr aussichtsloses Anliegen hin. Die Peinlichkeiten gipfeln darin, dass ein Sprecher das BLICK-Interview mit Gisel vorzeitig abbrechen will, weil ihm die Fragen nicht passen.
Gisel dagegen bleibt cool und führt das Interview souverän zu Ende. Und geht dank der Gelassenheit als Sieger aus dem dramatischen Tag hervor.