Am 6. August 2024 baute Urs L.* (63) in Weite SG einen Selbstunfall. Er gab Gas und knallte auf einem Firmengelände in mehrere abgestellte Anhänger. Sein Auto: Totalschaden. Sein Zustand: betrunken. Urs L. ist Regionalpolizeichef der St. Galler Kantonspolizei. Er führt mit über 400 uniformierten Polizistinnen und Polizisten über die Hälfte aller Angestellten der Kapo. Der Artikel im Blick sorgte für viel Aufruhr.
Trotzdem blieb im Dunkeln, wie hoch der Promillewert des Polizeichefs war. «Eine durchgeführte Atemalkoholmessung zeigte einen zu hohen Wert», schrieb die Kantonspolizei St. Gallen damals in der Medienmitteilung nur.
Grosses Geheimnis um die Promille beim Chef
Die Kantonspolizei liess ihren eigenen Chef vorschriftsgemäss blasen. Der Promillewert werde aber nur dann in einer Medienmitteilung genannt, wenn zwei Tests vorlägen, sagte Kapo-Kommunikationschef Hanspeter Krüsi. Da es aber den Verdacht gab, dass der Unfall aufgrund eines medizinischen Problems passiert sei, habe man auf einen zweiten Test verzichtet. «Der Verletzte musste so schnell wie möglich ins Spital transportiert werden», so Krüsi damals.
Eine Situation, die vorkommen kann. Allerdings scheut sich die Kantonspolizei St. Gallen in ähnlichen Fällen offensichtlich selten, den Blutalkoholwert eines Blaufahrers zu nennen. Aktuelles Beispiel von Montagnacht: In Benken SG fuhr ein 35-Jähriger auf der Autobahn in eine Verkehrstafel, einen Randleitpfosten und riss die Leitplanke noch gute zwei Meter mit, bevor er stehenblieb. Der Airbag platzte auf, wie auf den Bildern zu sehen ist. Dort blieb Zeit für eine beweissichere Atemalkoholprobe, die zweimal Blasen bedingte. Fazit: 1,8 Promille, oder 0,9 mg/l.
Nicht so beim Regionalpolizeichef. Nachdem der Capo so schnell wie möglich ins Spital gebracht wurde, stellte man dort nur leichte Prellungen fest. Offenbar gab es keine Hinweise auf ein medizinisches Problem, denn der Unfallfahrer konnte das Spital am selben Abend wieder verlassen. Einen zweiten Alkotest gab es nicht, eine Blutprobe schon. Kurz darauf, offiziell aber maximal 72 Stunden nach Geschehnis, ging die Kommunikationshoheit von der Kantonspolizei über zur Staatsanwaltschaft. Und dort herrscht Auskunftssperre.
«Das Strafbefehlsverfahren ist nicht öffentlich»
In den folgenden Wochen: Stillschweigen. Wie viel Urs L., der die Polizisten führt, die Betrunkene aus dem Verkehr ziehen, genau getankt hatte, bleibt weiterhin im Dunkeln. Die Öffentlichkeit wird es wohl noch länger nicht erfahren.
Fragt Blick nach, verweist die Kantonspolizei auf die Staatsanwaltschaft St. Gallen, diese wiederum verweist auf Artikel 69 Absatz 3 Ziffer D Strafprozessordnung: «Das Strafbefehlsverfahren ist nicht öffentlich.»
Auch ist noch immer unklar, welchen Status der Chef nun hat. Kurz nach dem Unfall war das Mitglied der Geschäftsleitung offiziell krankgeschrieben. Ob er das jetzt, einen Monat später, wegen «leichter Prellungen» noch immer ist, ist ebenfalls unklar. Das zuständige St. Galler Departement für Justiz und Sicherheit möchte auf Anfrage von Blick keine Aussagen zum Status des hohen Offiziers machen.
Passierte der Unfall wirklich in der Freizeit?
Der Unfallfahrer blieb bis heute stumm. Als Blick ihn am Montag kontaktierte, legte er wortlos das Telefon wieder auf, nachdem sich der Journalist vorgestellt hatte. Auf der Kapo-Website ist er nicht mehr zu finden.
Das Einzige, das er in dieser Angelegenheit sagte, war kurz vor Bekanntwerden des Skandals. Damals liess Urs L. via Kapo-Mediensprecher Hanspeter Krüsi ausrichten: «Der Unfall passierte in der Freizeit.»
Nur: Das stimmt gemäss Dienstplan nicht. Dieser liegt Blick jetzt vor. Auf dem Arbeitsplan klar zu sehen: Bürozeiten von 7.30 Uhr bis 12 Uhr und von 13.30 Uhr bis 17.23 Uhr. Der Unfall geschah gemäss Medienmitteilung «kurz vor 16.50 Uhr». Ein früherer Feierabend ist nicht eingetragen.
Dafür steht ab Mitternacht an diesem 6. August bei Urs L. im Arbeitsplan: «Unfall Nichtberuf».
Für den Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung.
* Name geändert