Ein «turbulentes Geschehen» sei es gewesen am 23. Mai 2021 am Dreilindenhang in St. Gallen. Das sagt der Richter des Kreisgerichts St. Gallen am Ende der Urteilsverkündigung am Freitagmorgen.
Er und zwei weitere Richter hatten die anspruchsvolle Aufgabe, zu klären, was damals genau vorgefallen war. Nach einem Streit mit seiner Freundin bekam Timo B.* (32) unvermittelt Besuch von zwei Brüdern seiner Freundin und zwei Kollegen. Es entbrannte ein Streit, bei dem Timo B. einem Bruder ein Beil auf die Stirn schlug. Der Angegriffene Ramon T.* (30) stach danach sechsmal auf Timo B. ein und tötete diesen beinahe.
Beinahe zu Tode gestochen – jetzt muss er als einziger in den Knast
Der am Freitag abwesende Timo B. wie auch sein messerschwingender Angreifer Ramon T. wurden am Freitag beide wegen versuchter, vorsätzlicher Tötung schuldig gesprochen. T. kassierte zwei Jahre Gefängnis, kann aber auf Bewährung draussen bleiben. Gefordert waren 36 Monate, davon sechs unbedingt.
Anders bei Timo B.: Der 32-Jährige, der um ein Haar sein Leben verlor, kassierte drei Jahre Gefängnis. Sechs Monate davon muss er absitzen. Dies hauptsächlich, weil er vorbestraft ist und ihm noch andere Delikte, wie versuchte Nötigung oder Waffenbesitz zur Last gelegt wurden. Höchstwahrscheinlich kommt er in den Genuss von «Halbgefangenschaft». Er soll arbeiten dürfen, zum Schlafen und am Wochenende aber in den Bau müssen. Die Staatsanwaltschaft forderte für ihn drei Jahre und zehn Monate – unbedingt.
Auf beide Verurteilten kommt ein bunter Strauss an Rechnungen zu. 23'000 Franken Verfahrenskosten hat Ramon T. zu bezahlen, 36'000 Timo B. Bei Timo B. kommt noch eine Geldstrafe von 6000 Franken hinzu. Und auch die Anwälte wollen ihren Lohn.
«Spezielle Fallkonstellation»
Damit bleibt das Dreiergericht aber deutlich unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft. Ausschlaggebend waren verschiedene Faktoren, erklärte der Vorsitzende Richter Roman Schoch. Immer wieder fällt auch der juristische Begriff des «Putativ-Notwehrexzesses». Das bedeutet, dass sich ein Täter in einer Notlage wähnt, die aber gar keine ist.
Sanfter angefasst wurden die Angeklagten auch wegen einer «Desinteresseerklärung», die sie vor der Verhandlung unterzeichnet eingereicht hatten. Das heisst, dass sie kein Interesse an einer Strafverfolgung des jeweils anderen haben.
Die verbliebenen Angeklagten, zwei Männer, die ebenfalls im Chaos dieses Pfingstsonntags eine Rolle gespielt haben sollen, wurden entweder freigesprochen, oder das Verfahren wurde eingestellt. «Diese Strafen zeugen von einer sehr speziellen Fallkonstellation», sagte Richter Schoch zum Abschluss.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
* Namen geändert