Die Aufklärungsrate bei Mordfällen ist in der Schweiz extrem hoch. So wurden beispielsweise von den 42 Tötungsdelikten im Jahr 2022 alle gelöst. Ein mittlerweile 102 Jahre alter Fall bleibt allerdings bis heute ungeklärt – und gleicht einem Krimi.
Was sich damals auf dem Säntis abspielte, wird heute so rekonstruiert: Gregor Kreuzpointner taucht unerwartet im eisigen Februar 1922 vor dem Haus des Ehepaars Haas auf. Die Eheleute leben bei der Wetterwarte auf dem abgeschiedenen, schwer erreichbaren Gipfel des Säntis, wo Besuch, speziell im Winter, nur selten ist. Klar ist jedoch, dass Kreuzpointner, ein begabter Bergsteiger, die Wetterwarte aufsuchte. Klar ist auch, dass Magdalena und Heinrich Haas fünf Tage später tot aufgefunden wurden. Die Tatwaffe: Kreuzpointners Browning-Pistole.
Alles ungeklärt
Man weiss, dass die letzten Wetterdaten am 21. Februar die Spitze des Säntis verliessen. Wegen des schlechten Wetters kamen jedoch erst am 25. Februar wieder Freiwillige aus dem Tal auf dem Gipfel an – und fanden die Opfer. Magdalena Haas, im Haus von hinten von einer Kugel getroffen, und Heinrich Haas, der draussen vor der Wetterstation getötet wurde und eigenartigerweise genau auf der Grenze zwischen Appenzell Innerrhoden und St. Gallen lag, was den Fall für die Behörden zusätzlich erschwerte.
Der angebliche Täter ist flüchtig, hetzt aus Angst, er könnte gefunden werden, durch die Ostschweiz und entlang des Bodensees. Doch mit seinem Suizid am 4. März, als er sich in einer Hütte nahe der Schwägalp erhängt, sind alle direkt an dem Mord beteiligten Parteien tot.
Der geheimnisumwobene Täter
Da es nie einen Prozess oder ein Urteil gab, kann man nicht definitiv sagen, dass Kreuzpointner der Mörder ist. Bekannt ist nur, dass er Schulden hatte, sich jedoch in der St. Galler Elite bewegte, Kreisen also, die er sich nicht leisten konnte. Am wahrscheinlichsten ist es also, dass er das Ehepaar, das er bereits zuvor kannte, um Geld bitten wollte. Haas galten als wohlhabend, könnten ihm aber finanzielle Hilfe verweigert haben, worauf er sie tötete.
Was auf dem verschneiten Gipfel wirklich passierte, inspirierte bereits Filme wie «Der Berg» vom Schweizer Erfolgsregisseur Markus Imhoof oder Opern wie «Mord auf dem Säntis» – die Uraufführung fand 2011 auf dem Gipfel des Säntis statt. (zun)