Forensischer Psychiater zu Vollrausch-Delikten
Kann Alkohol vor Strafe schützen?

Die Anklageschrift im Falle des Regenschirm-Tötungsdelikts von Mels SG wirft viele Fragen auf. Wie kann es sein, dass ein Mensch einen anderen Mensch umbringen kann und dann praktisch straffrei davonkommt? Ein forensischer Psychiater gibt Aufschluss.
Publiziert: 31.01.2024 um 19:07 Uhr
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Aktualisiert: 31.01.2024 um 20:13 Uhr
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Im Restaurant Schäfli in Mels SG geschah die Tat.
Foto: BRK News
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Sandro ZulianReporter News

Ein junger Mann steht im Verdacht, einen anderen Mann getötet zu haben. Das Problem: Der junge Mann war zum Tatzeitpunkt betrunken, nicht in der Lage, das Unrecht seiner Tat einzusehen. Theoretisch nicht schuldfähig. Darf man eine solche Person straffrei davonkommen lassen?

Um solche Fragen zu beantworten, gibt es den Artikel 263 im Schweizerischen Strafgesetzbuch. Dieser besagt: 

«
Absatz 1 Wer infolge selbstverschuldeter Trunkenheit oder Betäubung unzurechnungsfähig ist und in diesem Zustand eine als Verbrechen oder Vergehen bedrohte Tat verübt, wird mit Geldstrafe bestraft. Absatz 2 Hat der Täter in diesem selbstverschuldeten Zustand ein mit Freiheitsstrafe als einzige Strafe bedrohtes Verbrechen begangen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
Artikel 263, Schweizerisches Strafgesetzbuch (StGB)
»

Der Grad der Beeinträchtigung wird von einem qualifizierten Fachmann, wie einem Arzt oder Psychiater, anhand verschiedener Faktoren beurteilt. Einschliesslich des Alkoholpegels im Blut, des Verhaltens der betroffenen Person und anderer relevanter Umstände.

Alkohol wirkt nicht bei allen gleich

Eine dieser Fachpersonen ist Elmar Habermeyer. Der 56-Jährige ist Direktor der Klinik für forensische Psychiatrie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich und erklärt die Komplexität aus Experten-Sicht. «Dass eine Person mit über zwei Promille vermindert und über drei Promille komplett schuldunfähig ist, ist nur eine grobe Orientierung.» Eine starre Abstufung nach Promillewerten sei in der psychiatrischen Fachwelt nicht anerkannt.

Viel wichtiger sei es darum, das Verhalten und die psychische Verfassung des mutmasslich Betrunkenen genaustens zu prüfen. Alkoholgewöhnung und Alkoholtoleranz spiele dabei eine sehr wichtige Rolle. Habermeyer bringt ein Beispiel: «Ich erinnere mich an einen Fall, in dem ein junger Mann komplett betrunken Auto gefahren ist. Er rammte parkierte Autos, schlief, nachdem er später am Strassenrand parkiert hatte, auf dem Fahrersitz ein und nässte sich sogar ein. Die Polizei ging von einem Vollrausch aus. Doch der Mann hatte nur 1,4 Promille Alkohol im Blut.»

Auch im vorliegenden Fall sei es ohne Einsicht in das psychiatrische Gutachten nicht möglich, sich ein objektives Bild des mutmasslichen Täters zu machen. Klarheit dürfte die Gerichtsverhandlung am Donnerstag bringen.

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