René F. freigesprochen
Das St. Galler Kantonsgericht hat den Arzt Rene F. (58) vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung und Unterlassung der Nothilfe freigesprochen. Zum Prozess war es nach dem Tod seiner Sexpartnerin Francesca L. (†32) gekommen. Das am Freitag veröffentlichte Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Der Chefarzt und die Ärztin waren im Frühjahr 2015 eine sexuelle Beziehung eingegangen. Im August hatten sie sich in der Wohnung des Mannes verabredet. Sieben Stunden später alarmierte der Arzt die Polizei, weil die Frau gestorben war.
Kantonsgericht entscheidet auf Freispruch
Vor dem Kantonsgericht ging es um die Frage, ob der Arzt eine Schuld am Tod seiner Partnerin trägt. Die Verteidigung stützte sich auf ein Gutachten ab und argumentierte, die Frau habe einen Kollaps erlitten, sei danach über einer Brüstung zusammengesunken und gestorben.
In erster Instanz war der Mann im März 2021 freigesprochen worden. Die Angehörigen der Frau akzeptierten den Entscheid nicht. Das Kantonsgericht kam nun in seinem schriftlich eröffneten Urteil ebenfalls zu einem Freispruch.
Schlusswort des Angeklagten
«Es tut mir unsagbar leid, was passiert ist. Ich bin aber in keinster Art und Weise daran beteiligt gewesen», sagt René F., als ihm das Schlusswort gegeben wird.
Der vorsitzende Kantonsrichter informiert die Anwesenden, dass das Urteil in den nächsten Tagen schriftlich eröffnet wird.
Damit ist dieser emotionale Gerichtsprozess zu Ende. Wir danken für die Aufmerksamkeit.
Verteidigung hat das Wort
Der Verteidiger von René F. hat das Wort. Er verlangt Freisprüche von den Vorwürfen der fahrlässigen Tötung und der unterlassenen Nothilfe. «Es ist unverständlich, dass die Privatkläger diese Berufungsverhandlung erzwungen haben», sagt Matthias Rupp, der Zürcher Anwalt des Beschuldigten. «Mein Mandant hätte gar nie angeklagt werden dürfen» , sagt Rupp.
Er verteidigt den Gutachter vor der Kreisgericht. «Aufgefunden wurde ein unverletzter Leichnam». Die blauen Stellen seien nicht plausibel genug, den Tod zu erklären. «Es sind nur Bagatellverletzungen.» Diese hätten auch durch Anstossen passiert sein können.
Sein Mandant habe überdies die Nothilfe nicht unterlassen. «Er hat von Anfang an gesagt, dass er Francesca L. tot aufgefunden habe. Hätte er nur die kleinste Möglichkeit gesehen, ihr zu helfen, dann hätte er das gemacht.» Sein Mandant, der schon so viele Menschenleben während der Ausübung seines Berufes gerettet hatte «soll jetzt plötzlich seine Geliebte sterben lassen haben.» Dieser Vorwurf sei «lebensfremd».
Dann wird auch der Verteidiger noch persönlich: «Wir hatten stets Anteilnahme an der Trauer der Verwandten. Die Todesursache zu erfahren, wäre für alle Beteiligten eine Erleichterung gewesen. Ihre Frustration, dass es keine schuldige Person gibt, richtet sich aber seit jeher gegen meinen Mandanten.»
Vater donnert seine Meinung in den Gerichtsaal
Der Mann ist laut und voller Passion, die Kantonsrichter sind sich sichtlich keine italienischen Gefühlsausbrüche im Gerichtssaal gewohnt. «Liebe Richterinnen und Richter. Meine Tochter hat die Wahrheit verdient. Ihre Tochter hat die Wahrheit verdient! Und ihre Tochter hat die Wahrheit verdient!», donnert er und zeigt dabei abwechslungsweise auf das Dreiergericht.
Vater hält Rede im Gericht
Luigi L.*, der Vater der Verstorbenen, hält nach der Pause und vor dem Plädoyer der Verteidigung eine flammende Rede vor den Kantonsrichtern. Laut, emotional und auf italienisch erzählt er von seiner Tochter. «Guarda, guarda!», sagt er und überreicht dem Gericht Fotos von Francesca L. Da der Blick-Reporter vor Ort nur wenig italienisch spricht und des sizilianischen Dialekts nicht mächtig ist, kann er nur Auszüge davon übersetzen. «Wir als Familie durften nur ihr Gesicht sehen und alle Fotos meiner Tochter wurden aus der Distanz aufgenommen!», sagt der Vater. «Warum hatte der Mann das dringende Bedürfnis, die Gläser zu waschen, während in diesem Raum der Körper einer toten Frau auf seinem Sofa lag?»
Blick spricht mit Angehörigen
In der Prozesspause konnte Blick kurz mit den Angehörigen der Verstorbenen sprechen. Der Sohn zeigt sich verhalten optimistisch, die Mutter hingegen gar nicht. «Er ändert ständig seine Versionen vom Geschehenen», moniert Paula M.* Sie zeigt Blick Fotos ihrer Tochter, einer passionierten Töfffahrerin. «Sie war dünn, ja, aber nicht magersüchtig! Das sind Lügen», sagt ihr Bruder.
«Eiskaltes Wegräumen von allem, das an diesem Abend passiert ist»
«Es ist offensichtlich, dass er uns allen eine Lügengeschichte auftischt. Es ist zu Gewalteinwirkungen auf den Körper von Francesca L. gekommen, die äusserst schmerzhaft gewesen sein müssen», sagt der Anwalt der Familie zum Abschluss seines Plädoyers. «Was genau vorgefallen ist, werden wir nie erfahren. Der Beschuldigte hat alles daran gesetzt, Spuren zu verwischen. Er räumte fein säuberlich die Wohnung auf und brachte alles weg.»
Dass er nach dem Tod erst alles aufgeräumt und erst dann den Notruf abgesetzt habe, spreche für die Schuld des Angeklagten. «All das machte er, während sein lebloses Opfer hilflos auf dem Sofa lag.» Der Anwalt doppelt nach: «Es war ein rationales, eiskaltes Wegräumen von allem, was an diesem Abend passiert ist. Das ist das Verhalten von jemanden, der tunlichst etwas zu verbergen hat.» Damit hat die Anklage geschlossen.
Noch einmal kritisiert er den Arzt, nur mittels Augenschein entschieden zu haben, ob sich das Verständigen einer Ambulanz noch lohne oder nicht. «Der Angeklagte hat sich seine Wahrheit zurechtgelegt. Die Staatsanwaltschaft und die Vorinstanz haben das einfach geschluckt.» Damit ist das Plädoyer des Anklägers beendet.
Es gibt eine kurze Pause. Wir melden uns um 11.50 Uhr zurück.
Anwalt hält Beschuldigten seine Aussagen vor
Reto Caflisch, der Anwalt von Francesca L.s Familie zerpflückt eins nach dem anderen die Aussagen des Beschuldigten gegenüber der Polizei. Er habe zum Beispiel ständig von milchigen Augen gesprochen, später aber wieder angegeben, Francesca L. habe die Augen geschlossen gehabt.
«Es steht fest, dass der Beschuldigte seine Sicherheit über den Tod der Frau zurechtgelegt hatte.» Es könne nicht sein, dass ein ausgebildeter Facharzt auf einen Blick sagen könne, ob jemand gestorben sei, ohne sofort erste Hilfe zu leisten.
«Das ist, wie wenn man einem Metzger eine Engadinerwurst unterbreitet und ihn fragt, ob er mit blossem Auge erkennen könne, ob diese mit Hirsch- oder mit Rindfleisch gefüllt ist.»
«Der Sex an diesem Abend ist aus dem Ruder gelaufen!»
«Was an diesem Abend passiert ist, weiss nur der Beschuldigte», sagt der Anwalt der Familie. «Dem Beschuldigten kann aber nicht abgenommen werden, dass er und Francesca L. immer nur superschönen Sex hatte – und das es nie zu harten Handlungen und Gewalt gekommen sei», sagt Caflisch zum Schluss seines Plädoyers.
«Der Sex an diesem Abend ist aus dem Ruder gelaufen!», ist er sicher. Einzig René F. könne für die vielen blauen Flecken an diesem Abend verantwortlich sein. «Dafür hat der Beschuldigte einzustehen und sei darum der fahrlässigen Tötung und der unterlassenen Nothilfe schuldig zu sprechen.»
Als Arzt hätte er zudem anders reagieren müssen, weil er nicht wusste, wie lange Francesca L. schon in dieser Situation gewesen war. «Als Arzt wäre es seine Pflicht gewesen, Francesca L. zu helfen.»
«Der Beschuldigte lügt!»
«Schaut man sich diese Erkenntnisse an, wird klar, dass der Beschuldigte lügt!», sagt der Anwalt der Familie unverblümt. Ausserdem kritisiert er, dass die Vorinstanz die vielen blauen Flecken nicht als Hinweis auf gewaltsamen Sex gesehen habe. Für die Familie sei klar, dass die Hämatome einen Einfluss auf die körperliche Verfassung der Frau gehabt haben.
Nach vielen technischen und anatomischen Details kommt der Anwalt zum Schluss: «Die Druckstellen sind während des vom Beschuldigten abgestrittenen gewaltsamen Sex entstanden.» Eine Erklärung für die «Hautimpressionen» habe der Beschuldigte nicht.
Auffindesituation nicht glaubhaft
Eine «fein säuberlich aufgeräumte Wohnung», fanden die Beamten nach dem Notruf des Angeklagten vor, sagt der Anwalt. Die Schilderungen des Beschuldigten seien glaubhaft, das Kreisgericht habe ihm damals geglaubt. Der Anwalt spricht nun im Detail über die Auffindesituation. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass Francesca L.s Körper in totem Zustand auf dem Geländer im Gleichgewicht hätte «hängen» bleiben können.
Die Gutachter seien damals fast unisono zum Schluss gekommen, dass das fast nicht möglich sei. Die Computersimulationen der Auffindesituation, die damals vor Gericht präsentiert wurden, seien nicht bis ins letzte Detail durchexerziert worden. Der Anwalt kritisiert den damaligen Gutachter – seine Einschätzung seien zu einem grossen Teil Annahmen «ohne Beweisfundament und damit unzutreffend».
Francesca L. habe schlicht nicht «über das Balkongeländer hängend» verstorben sein können. Dagegen sprächen nicht nur die Druckstellen auf der Brust, sondern auch das herausfliessende Sekret aus der Nase, das den falschen Winkel gehabt habe.
Was ist in der Nacht vom 11. auf den 12. August 2015 in der St. Galler Altstadt wirklich geschehen? Diese Frage treibt die Familie von Francesca L.* (†32) auch fast achteinhalb Jahre später um. Am Mittwoch wollen die Eltern der verstorbenen Ärztin Gerechtigkeit vor dem Kantonsgericht St. Gallen. Sie wollen damit einen Entscheid des Kreisgerichtes rückgängig machen.
«Sie hatte Schaum vor dem Mund»
Gemäss Anklageschrift der Staatsanwaltschaft St. Gallen sollen sich L. und ihr Sex-Partner, der Schweizer René F.* (58) im August 2015 unweit der Kathedrale St. Gallen in seiner Wohnung getroffen haben. Hart sei der Sex gewesen, aber einvernehmlich. Francesca. L. trug blaue Flecken auf den Armen, den Brüsten, den Beinen davon. Fesseln und Sexspielzeug kamen zum Einsatz.
Nach Mitternacht raste der Blutdruck der untergewichtigen Francesca L. gemäss Anklageschrift in den Keller, ihr Sex-Partner fand sie leblos zusammengesunken auf dem Balkongeländer. Sie war tot. René F., ein Arzt, rief die Polizei, reanimierte seine Partnerin aber nicht. «Sie hatte Schaum vor dem Mund, violette Lippen und ausgetrocknete Augen. Es war klar, dass sie tot war, weswegen ich sie nicht reanimiert habe», so der Beschuldigte damals vor dem Kreisgericht. Daraufhin soll er die Sexspielzeuge verräumt und die beiden Champagnergläser abgewaschen haben.
Gerichtsmedizin konnte den Grund für den Tod nicht feststellen
Die Frau, in deren Blut man auch die Substanz GHB (KO-Tropfen) nachweisen konnte, starb gemäss Anklage wahrscheinlich an Flüssigkeitsverlust und körperlicher Überbeanspruchung. «Ich habe mit dem Ableben von Francesca L. nichts zu tun!», sagte der Angeklagte damals vor dem Kreisgericht St. Gallen. Das Problem: Die Gerichtsmedizin konnte nicht zweifelsfrei feststellen, woran die Frau genau verstorben war.
«Die sexuelle Beziehung war jederzeit einvernehmlich. Es wurden diverse Sachverhaltsversionen aufgezeigt, aber jene des Beschuldigten ist für mich die plausibelste», sagte die Einzelrichterin und entschied auf Freispruch vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung und Unterlassung der Nothilfe. Die Forderungen der Familie wies das Gericht bei der Verhandlung im März 2021 ab.
Extra aus Sizilien angereist
Doch das akzeptiert die Familie von Francesca L. nicht. Vater, Mutter und zwei Brüder, reisten von Sizilien nach St. Gallen und fordern in der Berufungsverhandlung am Mittwoch vor dem Kantonsgericht St. Gallen Gerechtigkeit für ihre Tochter und Schwester.
Der beschuldigte René F. sei im Sinne der Anklage schuldig zu sprechen und soll Schadenersatz und Genugtuung bezahlen. Doch damit ist die Familie aus Italien alleine: Die Staatsanwaltschaft St. Gallen beantragt die Abweisung der Berufung.
Für Blick war die Familie der Verstorbenen, wie auch der Beschuldigte nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.
*Namen geändert