Schuldunfähig! Thomas V.* (29) muss wegen seiner Amokfahrt durch die Ostschweiz am 6. Januar 2019 nicht ins Gefängnis. Er muss sich einer ambulanten Psychotherapie unterziehen. Fruchtet diese nicht oder bricht er sie ab, drohen 12 Monate Freiheitsstrafe. Der Mann leidet gemäss psychiatrischem Gutachten unter einer bipolaren, affektiven Störung und braucht professionelle Hilfe. Der Richter am Bezirksgericht Appenzell Innerrhoden fand am Dienstagmittag klare Worte: «Die Ansammlung der Waffen, die sie dabeihatten, ist verstörend.»
Aufsehenerregende Flucht vor der Polizei
Die Weltregierung stürzen, eine Weltrevolution starten – das war Thomas V.*s (29) Plan. Er zog am 6. Januar 2019 los. Mit dabei: Sein deutscher Freund Simon W.*, den er bisher nur von Videospiel-Chats kannte. Der Ostschweizer raste in einem Mini Cooper mit AI-Kennzeichen durch den Thurgau. Dabei leistete er sich eine Verfolgungsjagd mit der Polizei, durchbrach mehrere Absperrungen – bis er schliesslich in Tägerwilen TG mittels Nagelband gestoppt werden konnte. In seinem Mini: Handgranaten, Sturmgewehre und Pistolen. Blick berichtete über sein verstörendes Bekennervideo, das im Vorfeld der Amokfahrt auf Youtube hochgeladen wurde. Welches Ziel er mit seiner Aktion verfolgte, ist unbekannt.
Diese Frage wurde auch am Dienstagvormittag nicht beantwortet. Der 29-Jährige gab sich vor dem Richter ruhig und gelassen. Selten erzählte er während der Befragung mehr als nötig, oft war seine Antwort schlicht: «Das steht ja in den Protokollen.» Thomas V. wohnt mittlerweile im Tessin, er führt ein ruhiges Leben, 1450 Franken kriegt er von der IV monatlich. Er hat Schulden. Einer Arbeit geht er nicht nach und bislang verfolgt er auch keine Pläne, das zu ändern. Der gebürtige St. Galler lässt sich im Tessin von einem Therapeuten behandeln.
«Es gibt keine Weltregierung, sie müssen sich nicht verteidigen.»
Staatsanwaltschaft und Verteidiger halten sich beim Prozess vor dem Bezirksgericht Appenzell Innerrhoden überraschend kurz. Beiden sei das Wohlbefinden des Verurteilten wichtig, sagen sie dem Richter. Sie möchten, dass er wieder ein normales Leben führen kann, ohne sich etwas zuschulden kommen zu lassen. Das sei mit einer ambulanten Therapie möglich. Für weitere Vergehen wird der Beschuldigte allerdings schuldig gesprochen. Der Kauf einer gestohlenen Armeepistole fällt unter den Straftatbestand der Hehlerei, zudem hat er eine Gefängniszelle in Oberbüren verwüstet: Sachbeschädigung. Zum Abschluss ruft der vorsitzende Richter dem Angeklagten ins Gedächtnis: «Es gibt keine Weltregierung, sie müssen sich nicht verteidigen.»
Das Bezirksgericht folgt in weiten Teilen den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Gewisse Straftaten sind mittlerweile verjährt, andere wurden eingestellt. Zusammengefasst gibt es gegen den 29-Jährigen noch eine Geldstrafe von insgesamt 5400 Franken, die aber zu grossen Teilen vom Staat übernommen wird. Auch diese muss er nur berappen, wenn die Therapie nicht fruchtet. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
* Namen geändert