«Sich coronafreie Zeit zu schaffen, ist wichtig»
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Pandemie und (Kinder)-Psyche:«Sich coronafreie Zeit zu schaffen, ist wichtig»

Pandemie und die (Kinder-)Psyche
«Belastend ist nur, wenn die Nerven der Eltern blank liegen»

Die Corona-Zahlen klettern in der Schweiz wieder rasant in die Höhe. Die Massnahmen werden verschärft. Wie erklärt man das seinem Kind? Der oberste Kinder- und Jugendpsychologe gibt Rat.
Publiziert: 10.10.2020 um 23:55 Uhr
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Aktualisiert: 13.03.2021 um 12:29 Uhr
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Kinder kriegen keine Angst, wenn man ihnen die Lage so sachlich wie möglich erklärt, sagt Psychologe Philipp Ramming.
Foto: Tanja Demarmels / 13 Photo
Interview: Camille Kündig

Die Corona-Zahlen steigen ­erneut sprunghaft in die Höhe. Wie teilt man es Kindern mit, ohne sie zu erschrecken?
Philipp Ramming: Kinder kriegen keine Angst, wenn man ihnen die Lage so sachlich wie möglich erklärt. Man bringt ihnen ja auch bei, dass sie nicht einfach die Strasse überqueren sollen. Kinder sind in der Lage, das zu verstehen. Wichtig ist es, auf Fragen altersgerecht zu antworten und ihnen die Hintergründe zu erklären, aber keinen Crashkurs in Epidemiologie machen zu wollen. Todeszahlen sollte man weglassen, solange das Kind keine Medien ­konsumiert.

Donald Trump, der mächtigste Mann der Welt, ist an einem ­töd­lichen Virus erkrankt – ein ­Sze­nario, wie man es nur aus Kata­strophenfilmen kennt. Was sollen Eltern tun, wenn die ­«Tagesschau» darüber berichtet?
Es ist wichtig, dass Eltern ihren Kindern helfen, die Ereignisse einzu­ordnen. Anhand des Beitrags über Trumps Erkrankung lässt sich ausserdem konkret aufzeigen, wie wichtig es ist, sich gut zu schützen.

Im Kanton Bern gilt ab morgen eine rigorose Maskenpflicht. ­Sogar in Restaurants darf der Gesichtsschutz nur abgelegt werden, wenn man am Tisch sitzt. Was für einen Einfluss hat das auf Kinder?
Kinder beobachten Gesichtsausdrücke üblicherweise ganz genau und ziehen dadurch Schlüsse. Daher haben gewisse Kinder mit den Masken Mühe. Das muss man aber relativieren: Ich war kürzlich in der Ikea, da kam ein kleines Kind auf mich zu und starrte mich an. Ich lächelte den Kleinen unter meiner Maske an – und er grinste zurück! Über die Augen kann man vieles aussagen, ebenso über die Stimme und die Gestik. In gewissen Kulturkreisen funktioniert die Kommunikation ja auch, obwohl Frauen eine Burka tragen.

Kleinkinder wachsen momentan ohne Umarmung von Götti oder Grosi auf, Spielnachmittage bei den Gspänli fallen aus …
Für einen Dreijährigen ist es verkraftbar, wenn der soziale Kontakt eine gewisse Zeit lang eingegrenzt wird. Das empfinden vielmehr die Erwachsenen als Problem. Gerade Kleinkinder wachsen zurzeit um­geben von Masken und Hygieneschildern auf, das ist für sie Normalität. Und Teenager flirten seit Co­rona noch häufiger übers Handy statt an Schülerpartys. Belastend ist für Kinder aber, wenn bei den Eltern die Nerven blank liegen. Bleiben Sie als Eltern ruhig. Vermitteln Sie Ihren Kindern, dass diese Situation vorbeigeht. Geht es den Eltern gut, fühlen sich auch die Kinder wohl.

Persönlich

Philipp Ramming (64) arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Kinder- und Jugendpsychologe, seit 2012 präsidiert er die Schweizerische Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychologie. Er wohnt im Kanton Bern.

Philipp Ramming (64) arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Kinder- und Jugendpsychologe, seit 2012 präsidiert er die Schweizerische Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychologie. Er wohnt im Kanton Bern.

Was kann man tun, wenn einen die Situation belastet?
Das Wichtigste ist, gut zu sich selbst zu schauen. Corona-freie Auszeiten sind zentral. Etwa, indem man mit Freunden über andere Themen spricht und nicht ständig die neusten News zum Thema liest. Und sich zu sagen, dass es vorbeigeht.

Frappant ist, wie unterschiedlich Menschen mit der Situation um­gehen. Einige verkriechen sich nun fast wieder in den selbst aufer­legten Lockdown, andere weigern sich, Maske zu tragen. Warum?
Das ist zum einen eine Charakter­frage. Es gibt Leute, die sind abenteuerlicher, andere ängstlicher. Und es kommt auch darauf an, ob sich das Verhalten einfach in den ­eigenen Alltag integrieren lässt. Für jemanden, der ohnehin selten ausgeht, ist es ­unverständlich, dass andere ihre Samstagabende weiter in Nachtclubs verbringen oder ins Ausland reisen.

Was würde ein zweiter Lockdown für unser Wohlbefinden bedeuten?
Eine hohe psychische Belastung für die Erwachsenen, denn ein zweiter Lockdown hätte vermutlich verheerende Folgen für die Wirtschaft und damit für die finanzielle Sicherheit der Familien. Und der Lockdown ­akzentuiert bestehende psychische Problematiken. Insbesondere Kinder und Jugendliche, die bereits vorher psychische Probleme oder Verhaltenssüchte hatten, wären, wie im Frühjahr, speziell gefährdet. Andererseits konnten die meisten Fami­lien damals hilfreiche Routinen entwickeln. Erfahrung im Homeschooling und dem ständigen Zu-Hause-Sein hätten wir schon.

Das Virus ist seit März Teil unseres Alltags. Die Zahlen deuten ­da­rauf hin, dass sich die Lage in naher Zukunft nicht beruhigt. Was für einen Einfluss wird die Pandemie rückblickend auf die jüngste Generation haben?
Kinder sind extrem anpassungs­fähig – diese Generation wahrscheinlich umso mehr. Die Pandemie ist im Moment dramatisch, aber sie wird keine dramatischen Folgen für die Psyche haben. Vielleicht wächst eine hygienebewusste Generation heran, das wäre zu begrüssen. Besonders kleine Kinder werden es wahrscheinlich ­zunächst als sehr komisch em­pfinden, wenn wir uns irgendwann alle ­wieder zur Begrüssung die Hände schütteln.

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