Am Mittwoch kündigte Bundesrat Alain Berset (49) das Covid-Zertifikat für die Schweiz an – als Lösung, um einen Weg zurück in die Normalität zu finden. Schon am 7. Juni soll das System einsatzbereit sein, versprach der Gesundheitsminister. Doch genau daran gibt es jetzt erhebliche Zweifel: Dem Covid-Zertifikat droht ein Debakel.
Für die technische Umsetzung des Zertifikats ist das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT) zuständig. «Es stellt allerdings nur die Schnittstelle zur Verfügung», sagt Felix Schneuwly (60), Gesundheitsexperte von Comparis.
Bisher erhalten Geimpfte, Getestete und Genesene eine Bestätigung auf Papier. «Doch es ist völlig offen, wie diese Daten auf das Smartphone gelangen», sagt Schneuwly. «Und es ist nicht geklärt, wer sich darum kümmert.»
Das wissen auch die Apotheker und Ärzte. Ihre Verbände Pharmasuisse und FMH hatten bereits ein eigenes System entwickelt, um ihnen die Ausstellung von Zertifikaten für Geimpfte zu ermöglichen.
Frustrierte Gilli
Doch an einer gemeinsamen Sitzung am Freitag pfiff man sie zurück:Das Zertifikat sei allein Sache des Bundes. So steht es in einem Schreiben von FMH-Präsidentin Yvonne Gilli (64), das sie den Mitgliedern des Ärzteverbands nach der Sitzung schickte. Gilli macht darin keinen Hehl aus ihrem Frust: «Für die jetzt gewählte Lösung steht der Bund in der alleinigen Verantwortung.»
Wie es weitergehe, wisse sie nicht, schreibt Gilli weiter. Und: «Welche Konsequenzen daraus genau erfolgen, können wir derzeit leider noch nicht abschätzen, weil wir hierfür auf weitere Informationen seitens des Bundes angewiesen sind.»
Schon beinahe desillusioniert schliesst die FMH-Präsidentin ihr Schreiben: «Wann die bundeseigene Lösung genau bereitstehen wird und wie die Ausstellung der Zertifikate seitens Leistungserbringer konkret umgesetzt werden soll, darüber werden wir Sie gerne informieren, sobald wir mehr dazu sagen können.»
Wer sonst soll den Datentransfer bewerkstelligen?Die Post wäre eine naheliegende Lösung. Der gelbe Riese hat sich zusammen mit IBM bereits um die Entwicklung des Zertifikats beworben, ging aber leer aus.
Dabei bietet die Post heute schon ähnliche Dienstleistungen an. So können Kunden in der Hauptpost Aarau seit Anfang Mai ein elektronisches Patientendossier eröffnen. Weitere Filialen sollen folgen.
Covid-Zertifikat am Postschalter «unter Umständen durchaus denkbar»
«Entsprechend ist es für die Post unter Umständen durchaus denkbar, auch bei der Eröffnung oder Erfassung eines Covid-Zertifikats in unseren Filialen Hand zu bieten», sagt die Post. Das Interesse ist also da. SonntagsBlick weiss: Verwaltungsratspräsident Urs Schwaller (68) will in den nächsten Tagen Kontakt mit dem Bund aufnehmen.
Er dürfte auf taube Ohren stossen. SonntagsBlick hat bei den Informatikern in Bern nachgefragt, ob eine Zusammenarbeit mit der Post in Frage käme. Das BIT fasst sich kurz: «Nein.» Eine Begründung liefert das Amt nicht. Und auch keine Alternative. Aber eine Lösung braucht es. Gesundheitsexperte Schneuwly warnt: «Im Juni bricht das Chaos aus, wenn diese Frage nicht zügig geklärt wird.»
Könnte die Schweiz nicht ohnehin auf ein Covid-Zertifikat verzichten? In Israel sind 60 Prozent der Bevölkerung geimpft, das Land will seinen Impfpass schon bald wieder abschaffen. In der Schweiz sollen im Juli alle geimpft sein, die das wollen.
«Je näher die Impfung uns an die Herdenimmunität bringt, desto weniger ist das Zertifikat im Inland tatsächlich nützlich», sagt Taskforce-Vizepräsidentin Samia Hurst (49), Bioethik-Professorin an der Uni Genf. Sie sagt aber auch: «Vergessen wir nicht, dass wir im Vergleich mit Israel gar nicht so weit sind bei der Impfung.» Der wichtigste Grund aber, am Impfpass festzuhalten, ist die Aussicht auf Bewegungsfreiheit. Bioethikerin Samia Hurst: «Im internationalen Reiseverkehr könnte ein solches Zertifikat noch längere Zeit Anwendung finden.»
Und das ist ein Problem: Wenn es dem Bund nicht rechtzeitig gelingt, den Datenfluss zu sichern, gucken Schweizer Reisewillige im Sommer in die Röhre.