Nasa-Forschungschef Thomas Zurbuchen (54)
«Wir müssen wieder zum Mond»

Er wuchs in einem Schweizer Bergdorf auf und gehört heute zu den mächtigsten Forschern der USA: Thomas Zurbuchen (54) über neue, noch nie da gewesene Bilder aus dem All, die Forschungszusammenarbeit mit den Russen und seinen Lebensweg – der zu Hause auf dem Dach begann.
Publiziert: 10.07.2022 um 12:54 Uhr
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Wir trafen Thomas Zurbuchen im Hotel Bellevue Palace in Bern.
Foto: Siggi Bucher
Rebecca Wyss

Herr Zurbuchen, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie in den Himmel schauen?
Thomas Zurbuchen: Ich denke zum Beispiel über die Sterne nach, wie sie manchmal explodieren. Schauen Sie die Gold- und Platin-Ringe an meinen Händen an. Die beiden Materialien kommen von der Kollision von Neutronensternen, das wissen wir erst seit ein paar Jahren. Für mich als Astrophysiker ist die Natur viel schöner als für andere, weil ich mehr verstehe.

Wie muss man sich das Weltall, seine Unendlichkeit vorstellen?
Auch meine Vorstellungskraft kommt da an Grenzen. Wir machten mal ein Experiment, bei dem wir in den dunkelsten Winkel am Himmel schauten, wie durch einen Strohhalm. Stellten ein Teleskop hin und warteten tagelang. Allein in jenem kleinen Winkel fanden wir über 6000 Galaxien. Wo immer wir hinschauen, hat es Tausende von Galaxien, die wir mit blossem Auge nicht sehen.

Was man über Galaxien, Sterne und Planeten wissen muss

Blickt man in einer wolkenlosen Nacht in den Himmel, sieht man Teile der Milchstrasse – die Galaxie, in der wir zu Hause sind. Von diesen gibt es unzählige (wortwörtlich!) im Universum. Es sind grosse Ansammlungen von Sternen (auch: Sonnen), Planeten, die um diese Sterne kreisen, Gasnebel, Staubwolken und sogenannte Dunkle Materie. Diese hält die jeweilige Galaxie zusammen. Alleine die Milchstrasse ist riesig: Unsere Sonne ist nur eine von 100 Milliarden Sternen in unserer Galaxie. Hinzu kommt: Jede Galaxie hat ein Zentrum, ein Schwarzes Loch, um das alle Sterne kreisen. Schwarze Löcher – wir haben schon davon gehört! – können zum Beispiel entstehen, wenn Sonnen am Ende ihrer Lebenszeit kollabieren.

Die Milchstrasse über dem Jungfraujoch.
Keystone

Blickt man in einer wolkenlosen Nacht in den Himmel, sieht man Teile der Milchstrasse – die Galaxie, in der wir zu Hause sind. Von diesen gibt es unzählige (wortwörtlich!) im Universum. Es sind grosse Ansammlungen von Sternen (auch: Sonnen), Planeten, die um diese Sterne kreisen, Gasnebel, Staubwolken und sogenannte Dunkle Materie. Diese hält die jeweilige Galaxie zusammen. Alleine die Milchstrasse ist riesig: Unsere Sonne ist nur eine von 100 Milliarden Sternen in unserer Galaxie. Hinzu kommt: Jede Galaxie hat ein Zentrum, ein Schwarzes Loch, um das alle Sterne kreisen. Schwarze Löcher – wir haben schon davon gehört! – können zum Beispiel entstehen, wenn Sonnen am Ende ihrer Lebenszeit kollabieren.

Sie sind im Bergdorf Heiligenschwendi in Bern aufgewachsen, gehören heute zu den mächtigsten Forschern der USA. Hat das, was Sie tun, noch etwas mit dem Buben von damals zu tun?
Als Bub bewunderte ich zu Hause auf dem Dach die Sterne, unser Nachthimmel war dunkler, die Sterne leuchteten heller als anderswo. Ich fragte mich schon damals, wie sie wohl von einem anderen Ort aus aussehen würden. Fühlte, dass ich einmal weggehen würde. Das James-Webb-Teleskop, das mich derzeit beschäftigt, ist eine Weiterführung davon.

Die Nasa schoss das Teleskop im Dezember ins All. 30 Jahre Arbeit und rund zehn Milliarden Dollar stecken drin. Diese Woche sollen nun die ersten Bilder veröffentlicht werden. Was erwartet uns?
Bilder, wie wir sie noch nie gesehen haben. Vom alten Universum mit seinen Sternen und Galaxien, das vor 13,5 Milliarden Jahren entstanden ist. So lange war das Licht dieser Sterne unterwegs – und nun sehen wir es zum ersten Mal. Die Aufnahmen sind gestochen scharf und infrarot: Je röter eine Galaxie ist, desto älter ist sie. Das ist sehr aufregend für mich.

Warum interessiert die Nasa das alte Universum?
Unsere Geschichte ist da drin festgeschrieben. Wir wollen verstehen, woher wir Menschen kommen. Wie die Entstehung von Leben möglich war.

Und ob es ausserhalb der Erde wieder möglich ist?
Genau. Mit dem gleichen Teleskop schauen wir dann auch Planeten von anderen Sternen innerhalb unserer Galaxie an. Um zu schauen, ob die Atmosphäre dort Leben unterstützt.

Der Himmelstürmer

Thomas Zurbuchen wurde 1968 geboren, wuchs im Bergdorf Heiligenschwendi BE auf. Sein Vater war Prediger einer Freikirche. «Ich wusste früh, dass ich weggehen werde», sagt er. Und ging einen anderen Weg als die Eltern. Studierte Physik an der Uni Bern, promovierte in Astrophysik und wurde 2008 in den USA Professor. Seit 2016 ist er Forschungsdirektor der Nasa. Dort ist er verantwortlich für ein Budget von acht Milliarden Dollar. Und verkehrt mit US-Vize-Präsidenten und Unternehmern wie Elon Musk. Seit Jahren hat er den US-amerikanischen Pass. Zurbuchen lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in der Nähe von Washington D.C.

Siggi Bucher

Thomas Zurbuchen wurde 1968 geboren, wuchs im Bergdorf Heiligenschwendi BE auf. Sein Vater war Prediger einer Freikirche. «Ich wusste früh, dass ich weggehen werde», sagt er. Und ging einen anderen Weg als die Eltern. Studierte Physik an der Uni Bern, promovierte in Astrophysik und wurde 2008 in den USA Professor. Seit 2016 ist er Forschungsdirektor der Nasa. Dort ist er verantwortlich für ein Budget von acht Milliarden Dollar. Und verkehrt mit US-Vize-Präsidenten und Unternehmern wie Elon Musk. Seit Jahren hat er den US-amerikanischen Pass. Zurbuchen lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in der Nähe von Washington D.C.

Auch der Mond ist wieder Thema. Nach mehr als 50 Jahren will die Nasa mit dem Artemis-Programm wieder mit Menschen hin. Warum dauerte es so lange?
Der berühmte russische Schachspieler Garri Kasparow sagte einmal: «Das grösste Hindernis, um besser zu werden, ist Erfolg. Er macht genügsam.» Wir flogen damals aus politischen Gründen zum Mond. Wir waren im Wettstreit mit der Sowjetunion, und wir gewannen. Alle dachten: Ziel erreicht. Doch wir müssen weiter zum Mond, wenn wir mehr lernen und forschen wollen. Dafür brauchte es den politischen Willen, das dauerte.

Den Mond kennen wir ja schon. Warum will man wieder dorthin?
Wir brauchen den Mond, um dort Technologien zu entwickeln, dank denen wir zum Mars fliegen können. Was viel schwieriger ist. Der Mars ist das eigentliche Ziel. Vor drei Milliarden Jahren sah dieser ähnlich aus wie die Erde. Es gab viel Wasser, ein Magnetfeld, er war nicht die Wüste, die er jetzt ist. Wir haben schon einen Roboter dort. Er soll Informationen darüber liefern, welche Gefahren und Risiken dort für Menschen lauern. Wir wollen mit Forschern hin.

Elon Musk träumt davon, dass Menschen auf den Mars auswandern. Was meinen Sie: Visionär oder grössenwahnsinnig?
Ich kenne Elon gut. Das letzte Mal, als wir uns trafen …

... Sie kennen Musk?
Klar. Das letzte Mal diskutierten wir in meinem Büro darüber, welche Firmen wir auf dem Mars bauen müssten, damit dort Menschen leben könnten. Ob man Computerchips dort produzieren sollte oder auf der Erde. Wir denken über ähnliche Dinge nach.

Was halten Sie von seinen Ideen?
Als Forschungschef gehts mir nur darum, dass Wissenschaftler auf dem Mars forschen können. Ich will nicht unbedingt Menschen dort ansiedeln. Leute wie Elon sind wichtig. Er kann Dinge machen, die wir als Staatsbetrieb, der der Politik Rechenschaft schuldig ist, nicht können. Und umgekehrt.

Gerade ist wieder ein Wettlauf im Gange: China, Indien, die Emirates, Russland oder die USA – alle wollen sie zum Mars oder zum Mond. Bringt das etwas oder wollen sie nur ihre Duftmarke setzen?
Letztlich bringen die Forschungsergebnisse der einzelnen Nationen der ganzen Menschheit etwas. Diese Art von Wettbewerb ist nicht unser grösstes Problem.

Was dann?
Der Raum um die Erde herum ist verstopfter denn je. Ein paar Firmen wie jene von Elon Musk, Amazon-Gründer Jeff Bezos, von Chinesen und Europäern wollen Geld verdienen, indem sie für die ganze Erde Internet zur Verfügung stellen. Dafür braucht es bis zu Zehntausende von Satelliten. Und das kann für uns alle Folgen haben.

Inwiefern?
Wettervorhersagen brauchen Satellitenbilder. Übrigens: Amerikanische Satelliten ermöglichen auch Wettervorhersagen für die Schweiz. Solche Forschung wird dadurch erschwert.

Apropos Duftmarke: Nach dem Angriff der Russen auf die Ukraine bekräftigte die Nasa die weitere Zusammenarbeit mit Russland – im Hinblick auf die Internationale Raumstation ISS. Am Montag veröffentlichte die russische Raumfahrtbehörde Bilder von drei Kosmonauten, die Mitte März zur ISS flogen grinsend mit der prorussischen Separatisten-Fahne der selbsternannten «Volksrepublik Luhansk» posieren. Will die Nasa nun weiter mit den Russen zusammenarbeiten?
Solange es keine politischen Untertöne gibt, solange die Zusammenarbeit auf der Arbeitsebene bleibt, kann sie weitergehen. Jetzt kommt es darauf an, wie sich die Situation weiterentwickelt und ob die Zusammenarbeit weiterhin tragbar ist. Das müssen wir beobachten. Wir arbeiten seit über zwanzig Jahren mit den russischen Forschern zusammen. Über all die Jahre haben diese eine gute Arbeit gemacht. Ein Ende der Zusammenarbeit wäre himmeltraurig für uns alle.

Sie selber stehen unter grossem Druck, müssen vor dem Kongress Rechenschaft ablegen. Und Twitter-Forderungen des Präsidenten umsetzen – wie jene von Trump, die USA sollen bereits bis 2024 wieder Astronauten zum Mond schicken. Ist das nicht anstrengend?
Trumps Ansage war nicht schlecht. Und erfüllen wir vielleicht 2025. Ich benutze die gleiche Technik. Wenn die Leute am Rumspielen sind und sich nicht konzentrieren, mache ich eine sehr ambitionierte Zielvorgabe. Die Message ist: Es ist wichtig.

Wie klingt eine Ansage von Ihnen?
Ich gebe vor, dass eine bestimmte Mission nur drei Milliarden Dollar kosten darf oder an einem gewissen Datum gelauncht werden muss. Dann müssen die Leute, die daran arbeiten, das alte Denken stoppen und mit neuen Ideen kommen. Das funktioniert oft.

Ihre Eltern hatten andere Werte, gehörten einer Freikirche an. Woher kommt es, dass Sie so leistungsorientiert sind?
Mein Vater baute diese Kirche von null auf, 400 Leute fühlten sich dort zu Hause. Er hat etwas Schwieriges geschafft. Das haben wir gemeinsam. Ich rede nicht oft darüber: Ich hatte immer das Gefühl, ich sei nicht gut genug. Das half mir im Leben. Ich arbeitete härter als alle anderen. Nicht weil ich dachte, ich könne mehr als andere, überhaupt nicht. Ich glaubte als Kind, ich sei nicht so schlau wie die anderen. Dieses Gefühl, etwas beweisen zu müssen, habe ich bis heute.

Sie sagten einmal in einem SRF-«Dok»-Film, in der Nachbargemeinde, wo Sie in die Schule gingen, habe ein Lehrer gesagt, die Leute aus Heiligenschwendi seien nicht schlau, das sehe man schon den Eltern an.
So war die Stimmung damals, und ich hoffe, dass das heute anders ist. Als ich einem Lehrer sagte, ich wolle aufs Gymnasium, sagte er, ich sei nicht intelligent genug. Das war schwierig für mich. Aber meine Nachteile von damals sind heute Vorteile, die ich lange nicht verstanden habe: dass ich in einfachen Verhältnissen aufgewachsen bin, dass ich auf dem Bau gearbeitet habe.

Was zogen Sie daraus?
Ich verstehe, wie sich der Mann hinter der Maschine fühlt, weil ich dieser Mann früher war. Ich kann mich gut in andere hineinversetzen und so besser Entscheide treffen. Einmal ging es um die Frage, ob wir bei einem Satelliten im All einen Motor anwerfen oder nicht, um ein Problem zu lösen. Das Risiko war, dass es misslingt und ich so eine Milliarde Dollar in den Sand setze. Wir diskutierten darüber, fast das ganze Team ausser einer Person sagte Nein.

Was taten Sie?
Ich warf den Motor an.

Und warum?
Ich begriff, dass die anderen Angst vor dem Scheitern hatten. Es ging nicht um Fakten, die zeigten, dass wir’s lassen sollten. Nach dem Entscheid joggte ich in Washington eine Runde und dachte: Wow, läuft das schief, ist meine Karriere zu Ende. Ich realisierte aber auch: Der Entscheid war viel weniger schwierig als das, was ich in meinem Leben schon gemacht hatte. Mit meinen Eltern, meiner Umgebung. Ich kann Nein sagen zu etwas, oder Dinge wagen, wovor andere viel mehr Angst haben.

Haderten Sie damit, dass Sie einen ganz anderen Weg als Ihre Eltern einschlugen?
Das war das Schwierigste in meinem Leben. Doch für mich war klar: Wenn ich ich selber sein will, kann ich die Menschen, die ich sehr schätze, nicht glücklich machen. Nicht weil meine Eltern etwas falsch gemacht hätten. Aus verschiedenen Welten zu kommen, diese Spannung zieht sich durch das ganze Leben, und ist anstrengend. Aber dadurch wird man jemand, der anders, wertvoll ist. Jetzt, im Nachhinein, kann ich das gut sagen. Wenn man drinsteckt, ist es manchmal zum Verzweifeln.

Wie stehen Sie zum Glauben?
Die Absolutheit der Gläubigkeit ist schwierig für mich. Religiöse glauben, zweifeln nicht. Als Wissenschaftler bin ich ein Zweifler. Die Diskussionen bei Gläubigen hören oft gleich auf. Es ist von vornherein klar, was richtig und falsch ist. Als Wissenschaftler mag ich offene Fragen.

Glauben Sie an Gott?
Ich glaube, dass es etwas gibt, das grösser ist als ich. Die Manifestation davon ist die Natur, die Symmetrien in ihr sind wunderschön. Als Wissenschaftler nehme ich diese Schönheit in viel mehr Dimensionen wahr als andere.

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