Es gackerte und roch nach Mist, Federn flogen durch die Luft: in der Voliere hinter seinem Haus in Adliswil ZH jagte Hansueli Gürber einem der schneeweissen Seidenhühner hinterher.
Er hatte uns 2014 zu einem Interview empfangen. Bei dieser Gelegenheit präsentierte er uns auch seine geliebte Vogel- und Reptilienzucht.
In jenen Tagen war Gürber seit etwas mehr als einem Jahr der bekannteste Jugendanwalt der Schweiz. Noch wichtiger als seine Tiere waren ihm die Heranwachsenden, um die er sich kümmerte – für manche war er der Vater, den sie nie hatten. Sein Herzblut widmete der Jurist den besonders schwierigen Klienten, «struubi Jungs» nannte er sie.
Einst war er der Darling der Journalisten, als ehemaliger Leiter und Pressesprecher der Zürcher Jugendanwaltschaft kannte er die Mechanismen der Branche, und sein Äusseres, eine Mischung aus Jerry Garcia und Captain Ahab, machte ihn zum dankbaren Protagonisten. Wie im August 2013, als er für einen SRF-Dokfilm Einblick in seine Arbeit gab. Und seinen grössten Erfolg vorwies: Brian, einen Delinquenten mit schweizerischen und kamerunischen Wurzeln, der endlich die Kurve gekriegt zu haben schien.
SRF machte Brian zu «Carlos»
Die SRF-Reporter machten aus Brian «Carlos», dichteten ihm eine südamerikanische Herkunft an, und der Jugendanwalt beging einen Fehler: Er gab freimütig Auskunft darüber, dass das Sondersetting – ein neues Wort machte die Runde! – monatlich 29'000 Franken kostet.
Der Blick griff das Thema instinktsicher auf («Sozial-Wahn!») – 29'000 Steuerfranken für einen minderjährigen Raufbold erregten die Öffentlichkeit. Die Nation hatte ihren Skandal. «Carlos» wurde zum tragischen Exempel der viel geschmähten «Kuscheljustiz» («Rindfleisch und Armani-Deo: Die Justiz erfüllt Carlos jeden Wunsch», titelte die «Aargauer Zeitung»).
Während Politiker über die Reform des Jugendstrafvollzugs stritten, verstand Gürber die Welt nicht mehr: Es war ihm doch im allgemeinen Interesse gelungen, junge Straftäter auf den rechten Weg zu bringen – doch die Gesellschaft reagierte mit Morddrohungen und Beschimpfungen.
Vorgesetzte liessen Gürber im Regen stehen
Dazu kam die Enttäuschung über seine Vorgesetzten, die ihn im Regen stehen liessen. Gürber ging in Deckung, widmete sich seinen Tieren und reiste immer wieder nach Namibia, das ihn so faszinierte. Er war überzeugt, ein solches Drama wäre mit der afrikanischen Mentalität gar nicht denkbar: «Dort hätte man zuerst gesagt: Das ist eine tolle Geschichte! Hinterher hätte es geheissen, aber sehr teuer ist es schon. In der Schweiz kommt der erste Punkt gar nicht erst.»
Es brauchte einige Zeit, bis die Schweiz Gürbers Leistungen anerkannte und sich leise fragte: War das Sondersetting vielleicht doch die günstigere Lösung?
Am 2. Juli ist Hansueli Gürber 71-jährig gestorben. Er hinterlässt eine Frau, fünf Kinder und viele Menschen, denen er aus der Patsche geholfen hat.
Bei besagtem Termin in Adliswil stand er mit einem Seidenhuhn auf dem Arm da und betonte: «Mir ging es immer zuerst um meine Jugendlichen.»
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