Am Montagnachmittag tötet Ilir B.* (37) seine Ehefrau (†34) mit einer Stichwaffe. Er flüchtet und wird im Kanton St. Gallen gefasst (BLICK berichtete). Wenige Tage zuvor donnert der vorbestrafte Iraker Hussein K.* (50) in aller Öffentlichkeit seine Tochter (4) brutal auf den Boden. Die Kleine erleidet einen Schädelbruch. Mitte Juli liegt Karin S. (†29) tot auf dem Parkplatz vor ihrer Wohnung. Der Täter wird am Tag danach verhaftet. Er hatte sein Opfer zuvor vermutlich monatelang gestalked. Einige Wochen vorher nimmt Ante S.* (†60) seine Ex-Freundin Leonora F.* (†34) und ihre Mitbewohnerin Dana T.* (†38) am Döltschiweg in Zürich als Geiseln. Statt sich zu ergeben, tötet er die beiden Frauen und sich selber.
Dietikon ZH, Brugg AG, Dübendorf ZH, Zürich-Wiedikon. Die Tatorte ändern sich, die Vorfälle ähneln sich: Immer ist es ein Mann, der eine Frau umbringt oder lebensbedrohlich verletzt. Und immer war der Täter der Polizei bekannt.
Susan A. Peter, Präsidentin der Dachorganisation der Schweizer Frauenhäuser, macht den Behörden im BLICK schwere Vorwürfe. Für sie ist klar: «Die Polizei versagt zu oft in solchen Situationen. Opfer werden in der Schweiz im Stich gelassen.»
«Total daneben, Polizei Mitschuld zu geben»
In der «Schweiz am Wochenende» nimmt die oberste Polizistin der Schweiz Stellung und verteidigt ihre Kollegen. «Es ist total daneben, wenn man der Polizei die Schuld für die Morde an den Frauen in die Schuhe schiebt», sagt Johanna Bundi Ryser, Präsidentin des Schweizerischen Polizeibeamtenverbandes. Die Möglichkeiten der Polizisten seien beschränkt. Sie habe während ihrer Zeit als Polizistin immer wieder erlebt, dass Frauen um Hilfe baten und sie gerne mehr getan hätte, um sie zu schützen.
Man würde die Männer schon vorladen, wenn sich die Frauen melden. Doch um jemanden zu verhaften, müsse zuerst etwas gravierendes passieren, so wolle es das Gesetz. Täter fielen zudem oft auf, bevor sie töteten, etwa bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb), in der Schule der Kinder oder auf dem Sozialamt. Nun fordert sie: Bessere Kommunikation zwischen den Ämtern und Präventivhaft. «Wir brauchen mehr Opferschutz und weniger Täterschutz», sagt Bundi Ryser der «Schweiz am Wochenende». Konkrete Vorschläge macht sie allerdings keine. Dies sei Sache der Politiker und Juristen.
Alle zwei Wochen verliert eine Frau ihr Leben durch die Hand eines Mannes. 24 Frauenmorde registrierte der Bund letztes Jahr. In 51 weiteren Fällen überlebte die Frau die versuchte Tötung durch ihren Partner. Weil dieses Szenario häufig vorkommt, wurde dafür ein Begriff geschaffen: «Femizid». Frauenmord.
Femizid, nicht Familiendrama
Verschiedene Organisationen und Politiker fordern, dass solche Morde nicht mehr verharmlost als «Beziehungs-» oder «Familiendramen» abgetan werden sollen. Sondern als das, was sie seien: Morde von Männern an Frauen. Es könne nicht sein, dass den Opfern teilweise eine Schuld zugesprochen würde, sagt beispielsweise Frauenhauspräsidentin Susan Peter. «Es gibt viele Frauen in den Frauenhäusern, die sich von den Behörden nicht ernst genommen fühlen.» Polizisten würden zum Beispiel unpassende Bemerkungen, den Frauen Vorwürfe machen.
«Da fallen dann Sprüche wie: ‹Jetzt müssen wir ja schon wieder kommen. Beim nächsten Mal sind Sie aber getrennt›».
Anna-Béatrice Schmaltz (27) von der feministischen Friedensorganisation CFD warnt im BLICK: «Die Tötung wird als Eskalation eines Streits beider Parteien, Opfer und Täter, gesehen. «Dabei gibt es nichts, keine Provokation, kein Vorwurf, der einen Mord rechtfertigt».
18'522 Fälle häuslicher Gewalt
18'522 Fälle häuslicher Gewalt wurden letztes Jahr in der Schweiz registriert – Mord ist nur der schlimmste Auswuchs davon. Die Motive variieren laut Schmaltz – Eifersucht, Minderwertigkeitskomplexe, Trennungsangst – der Hintergrund sei aber derselbe: Eine «toxische männliche Kultur», die keine Schwäche zeigen könne, und eine «Abwertung der Weiblichkeit». Schmaltz erklärt: «Von klein auf lernen Männer, dass sie die Kontrolle um jeden Preis behalten und durchgreifen müssen. Frauen hingegen wird beigebracht, sich zu fügen.»
Hinzu komme, dass Frauen in manchen Beziehungen noch immer als Besitz des Mannes angesehen werden. Schmaltz: «So lange diese ungleichen Machtverhältnisse in der Gesellschaft verankert sind, wird es weiterhin zu Femiziden kommen.»
Ihr Fazit: «Wir haben in der Schweiz ein Problem mit strukturellen Machtunterschieden. Femizide sind die wohl schlimmste Folge davon.» (vof)