Die damals 22-jährige Jennifer* hatte sich schon auf die neue Stelle als Managerin bei McDonald’s in Marin-Epagnier NE gefreut. Doch dann wurde ihr die Beförderung verweigert: «Der Chef hatte Angst, dass ich nach der geplanten Hochzeit schwanger werde.»
Die Justiz hat eigentlich den Auftrag, schwangere Frauen und Mütter besonders vor Diskriminierung zu schützen. Im Gleichstellungsgesetz heisst es: «Arbeitnehmerinnen dürfen aufgrund einer Schwangerschaft in keinster Weise benachteiligt werden, auch nicht hinsichtlich Entlöhnung und Entlassung.»
Arbeit im Stundenlohn statt Festanstellung
In Wirklichkeit führt die Schwangerschaft einer Frau – oft auch ein vermuteter Kinderwunsch – immer wieder zu Nachteilen im Beruf, die in einer Entlassung gipfeln.
Herbst 2022: In einem der grössten Altersheime des Kantons Thurgau erhält eine schwangere 26-Jährige in der Probezeit die Kündigung, nachdem sie eine Vertragsänderung ausgeschlagen hat: Als sie den Betrieb über ihre Schwangerschaft informierte, bot man ihr statt der vertraglich vereinbarten Festanstellung plötzlich eine Tätigkeit im Stundenlohn an. Seitens Travailsuisse, dem Dachverband der Arbeitnehmenden, heisst es: «Dieser Vorschlag ist durch die Absicht des Arbeitgebers motiviert, seine Pflicht zum Schutz seiner schwangeren Arbeitnehmerin nicht wahrnehmen zu wollen.»
Keine Jahresprämie wegen Mutterschaftsurlaub
Ein anderer Fall: Aufgrund ihrer Schwangerschaft leidet eine 32-jährige Sonderpädagogin an gesundheitlichen Beschwerden. Die Chefin sagt, sie solle sich «gefälligst zusammenreissen».
Oder: Eine Kita in der Romandie zahlt ihrer krankgeschriebenen schwangeren Angestellten nur noch 30 Prozent Lohn.
In vielen Kantonen gibt es kostenlose Beratungen bei den Fachstellen für Gleichstellung und den Schlichtungsbehörden.
Informationen rund um Schwangerschaft und Berufstätigkeit liefern die Websites www.mamaworkrights.ch und www.mamagenda
Die Unia-Broschüre «Erwerbstätig und Mutter» gibt weiterführende Informationen über Ihre Rechte und Möglichkeiten.
In vielen Kantonen gibt es kostenlose Beratungen bei den Fachstellen für Gleichstellung und den Schlichtungsbehörden.
Informationen rund um Schwangerschaft und Berufstätigkeit liefern die Websites www.mamaworkrights.ch und www.mamagenda
Die Unia-Broschüre «Erwerbstätig und Mutter» gibt weiterführende Informationen über Ihre Rechte und Möglichkeiten.
Oder: Eine Logistikerin erhält im Jahr ihres Mutterschaftsurlaubs keine Jahresprämie – Arbeitskollegen, die Militärdienst leisteten, hingegen schon.
Was die vier Frauen erlebt haben, ist keine Seltenheit. Bereits 2019 zeigte eine Studie des Büros für arbeits- und sozialpolitische Studien: Bei mehr als zehn Prozent der Frauen sprach der Arbeitgeber während der Schwangerschaft über eine Auflösung des Arbeitsvertrags «in gegenseitigem Einverständnis». In sieben Prozent der Fälle kündigte er an, das Arbeitsverhältnis nach dem Mutterschaftsurlaub zu beenden. Elf Prozent der Frauen gaben an, Chefs hätten mit Wut oder Gereiztheit auf die Bekanntgabe einer Schwangerschaft reagiert.
«Immer wieder kommt es zu Kollisionen von Interessen zwischen Mutterschaftsurlaub und betrieblichen Bedürfnissen, die nur Frauen betreffen», sagt Helena Trachsel (64) von der Fachstelle Gleichstellung des Kantons Zürich.
Zunahme von Kündigungen wegen Schwangerschaft
Da erstaunt es wenig, dass laut Bundesamt für Statistik 70 Prozent der 25- bis 39-jährigen Frauen befürchten, ihnen könnte die Familiengründung beruflich schaden. Travailsuisse geht davon aus, dass jährlich zwischen 3300 und 6600 Frauen aufgrund ihrer Mutterschaft im Job diskriminiert werden. Die Gleichstellungsbehörden beschäftigen sich immer wieder mit solchen Vorgängen, wie zahlreiche Fachstellen dem SonntagsBlick bestätigen.
Die Schlichtungsbehörde nach Gleichstellungsgesetz Zürich beobachtete gar eine Zunahme der Kündigungen wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft.
Und die Datenbank www.gleichstellungsgesetz.ch verzeichnet – ebenfalls in den letzten Jahren – einen Anstieg von Verfahren in diesem Zusammenhang. «Seit MeToo melden sich viel mehr Frauen bei uns als zuvor», so Virginie Ribaux (41), Juristin bei der Gewerkschaft Unia. Unklar ist bislang, ob sich die Problematik verschärft hat oder die zunehmende Sensibilisierung der Gesellschaft dafür verantwortlich ist.
Oft wird ein Grund vorgeschoben
Fest steht: Die Dunkelziffer ist hoch. Einerseits lässt sich kaum belegen, ob Frauen, die einen Job in dieser Phase ihres Lebens kündigen, dies aus eigenem Antrieb tun – oder ob sie aufgrund von Vereinbarkeitsschwierigkeiten oder Druck am Arbeitsplatz aufgeben. Und: Längst nicht alle wehren sich. Teilweise aus Scham. Virginie Ribaux: «Wenn sich die Frauen an uns wenden, werden sie oft von Schuldgefühlen geplagt, weil sie zum RAV müssen oder ihr Partner seit der Kündigung für ihren Lebensunterhalt aufkommt.»
Sich gegen Diskriminierung im Berufsalltag zu wehren, führt ausserdem oft zu Enttäuschungen. Véronique Rebetez (32), Verantwortliche Gleichstellung bei der Gewerkschaft Syna: «Meistens wird etwa bei einer Kündigung in der Probezeit ein anderer Grund vorgeschoben. Zu beweisen, dass tatsächlich die Schwangerschaft der Kündigungsgrund war, ist sehr schwierig und energieraubend für die Betroffenen. Viele wollen diesen Aufwand nicht auf sich nehmen.»
Häufige Kündigungen in der Schwangerschaft
Ein weiteres Problem: Zwar darf der Grund für eine Kündigung nicht die Schwangerschaft sein – in solchen Fällen können Betroffene auf Schadenersatz klagen. Berufliche Nachteile aufgrund von Mutterschaft sind aber nicht in jedem Fall juristisch anfechtbar. Schwangeren Frauen werde immer noch viel zu häufig in der Probezeit gekündigt, sagt Helena Trachsel. Sofern dies nicht nachweislich wegen der Mutterschaft geschieht, ist dies legal, ebenso wie Kündigungen kurz nach Ende des Mutterschaftsurlaubs – was laut Expertinnen sehr oft der Fall sei.
Virginie Ribaux vom Unia-Rechtsdienst: «Im Vergleich zu anderen Ländern leben wir in einem archaischen Rechtssystem.»
Es brauche einen besseren Kündigungsschutz für schwangere Frauen und Mütter sowie höhere Entschädigungssummen bei missbräuchlicher Kündigung, sagt Helena Trachsel: «Aktuell sind die Folgen bei Kündigung sowie missbräuchlicher Kündigung zu wenig wirkungsvoll, als dass sie Frauen am Arbeitsplatz besser schützen könnten.»
Politikerinnen wie SP-Nationalrätin Nadine Masshardt (38) beschäftigen solche Missstände. 2019 reichte sie deshalb zwei Motionen ein: Der Höchstwert für eine Entschädigung bei missbräuchlicher Kündigung solle erhöht, der Kündigungsschutz in der Schwangerschaft auf die Probezeit ausgeweitet werden. Beide Forderungen blieben ergebnislos: Sie wurden nicht innert Frist im Rat behandelt.
Schutz für Arbeitnehmerinnen bereits hoch
Der Bundesrat wiederum sprach sich kritisch zu solchen Vorstössen aus. Als Grund gab er an, sein eigener Vorschlag von 2010, das Maximum der Sanktion bei einer missbräuchlichen Kündigung von sechs auf zwölf Monatslöhne zu erhöhen, sei in der Vernehmlassung auf grossen Widerstand gestossen. Den Kündigungsschutz auf die Probezeit auszuweiten, höhle wiederum deren Zweck aus.
Auch der schweizerische Arbeitgeberverband lehnt eine Ausdehnung des gesetzlichen Kündigungsverbots auf die Probezeit ab. Damit würde «die Kennenlernphase für die Arbeitgeber ausgeschlossen». Der Schutz für die Arbeitnehmerinnen sei bereits hoch angesetzt. Überdies verurteile man jegliche Form von Diskriminierung am Arbeitsplatz. «Die Arbeitgeber setzen gerade angesichts des herrschenden Fachkräftemangels besonders auch auf die Gewinnung und Wiedereingliederung der Mütter.»
Aktuelle Situation ist «absolut störend»
Fakt ist: Mütter und Frauen in einem bestimmten Alter werden von Arbeitgebern oft als finanzielles Risiko wahrgenommen. Der Arbeitgeberverband sieht da auch die Frauen selbst in der Verantwortung: «Was wir immer wieder hören und auch statistisch belegt ist, ist, dass Arbeitnehmerinnen nach der Geburt ihres Kindes ihr Arbeitspensum reduzieren wollen. Mit dem sich weiter zuspitzenden Arbeitskräftemangel stellt sich für Arbeitgeber dementsprechend vielmehr die Frage, wie sie Mütter motivieren können, nicht längerfristig in Minipensen zu verbleiben.»
HR Swiss, der Berufsverband für Human Resources Management, hält Fälle von Diskriminierung wegen Mutterschaft «eher für die Ausnahme». «Gemäss unserer Erfahrung erkennen viele Firmen, was Mütter in der Arbeitswelt unter anderem in Resilienz, Einsatz und Anpassungsfähigkeit aufweisen.»
SP-Politikerin Masshardt aber empfindet die aktuelle Situation als «absolut störend»: «Ich werde mich weiterhin dafür einsetzen, dass sich etwas ändert.»
Immerhin kann sich bereits heute der Gang vor Gericht für eine Frau lohnen, die benachteiligt wird. Der ehemaligen McDonald’s-Angestellten Jennifer wurde eine Entschädigung von rund 6000 Franken aufgrund einer geschlechtsbedingten Diskriminierung zugesprochen.
* Namen geändert
Restaurationsfachfrau (26): «Einem Mann würde das nicht passieren»
Ich hatte eine tolle Stelle als Restaurationsfachfrau in einem Altersheim gefunden: Festanstellung, 80 Prozent. Kurz nachdem der Vertrag unterschrieben war, bemerkte ich, dass ich schwanger war – ungeplant. Ich informierte den Chef. Er versicherte mir, dass sie mich nicht fallen lassen würden. Doch dann bot man mir eine Anstellung im Stundenlohn an. Ich teilte dem Betrieb auf Empfehlung einer Rechtsberatung mit, dass ich den ursprünglichen Vertrag antrete. Daraufhin hörte ich einfach nichts mehr und musste in dieser Ungewissheit in den Job starten. Am dritten Arbeitstag hatte ich eine Blutung und wurde krankgeschrieben. Kurz darauf lag die Kündigung im Briefkasten. Ohne Angabe eines Grundes. Mündlich hatte mich mein direkter Vorgesetzter aber schon vorgewarnt, dass sie mir wahrscheinlich kündigen aufgrund der Schwangerschaft.
Er meinte, das sei doch auch besser für mich, dann hätte ich weniger Stress. Einem Mann würde so etwas nicht passieren, das macht mich wütend. Dass die Kündigung mit meiner Arbeitsweise zusammenhängt, ist unmöglich. Dafür war ich zu wenig lang dort, zudem erhielt ich gutes Feedback. Ich würde gerne arbeiten. Aber jetzt bin ich auf dem RAV – trotz Fachkräftemangel. Ich weiss: Ich hätte Einspruch erheben können. Aber in dem Moment war alles zu viel. Im Nachhinein wünschte ich, ich hätte mich gewehrt.»
Logistikerin (26): : «Das HR wollte wissen, wie ich als Single-Mutter 100 Prozent arbeiten wolle»
«Die HR-Verantwortliche stellte mir zahlreiche unangebrachte Fragen zu meiner Schwangerschaft. Sie wollte etwa wissen, wie ich als Single-Mutter plane, wieder zu 100 Prozent in den Job einzusteigen. Dann erhieltich im Jahr meines Mutter-schafts--urlaubs als Einzige im ganzen Unternehmen wegen ‹zu vieler Absenzen› keine Prämie. Männer, die in den Militärdienst einrückten, bekamen ihre Prämie hingegen.»
Ex-Angestellte McDonald's (25): «Der Chef verweigerte mir eine Beförderung, weil er eine Schwangerschaft befürchtete»
«Anfang 2020 meldete ich mein Interesse an einer Beförderung an. In den Gesprächen mit der Gerantin und dem Franchisenpächter war der Job so gut wie versprochen. Doch als ich später erwähnte, dass ich im Sommer heiraten werde, erhielt ich die Stelle nicht. Als ich um eine -Erklärung bat, sagte die Chefin: ‹Da du heiratest, befürchtet der Patron, dass du bald schwanger wirst.
Wärst du ein Mann, hätten wir -dieses Gespräch nicht.› Nach meiner Schicht schüttelte mich schon auf dem Parkplatz ein Weinkrampf. Später stritten die beiden alles ab. Doch ich hatte eine Ton-aufnahme – ich hatte gefragt, ob ich die Folgegespräche aufzeichnen darf – und reichte Klage ein. Das Verfahren dauerte 2,5 Jahre – als das Urteil fiel, hüpfte ich vor Freude! Mir ist wichtig, dass die Diskrimi-nierung anerkannt wurde. Meine Mutter hat in ihrer Karriere Ähn-liches erlitten, konnte sich aber nicht wehren. Sie meinte: ‹Du hast die Möglichkeit, etwas dagegen zu tun – mach es!›»
Sonderpädagogin (32): «Ich wurde aus dem Job gemobbt»
«Als mich der Arzt wegen Bauchkrämpfen zu 50 Prozent krankschrieb, sagte meine Chefin allen, ich sei halt psychisch labil. Sie selbst habe bis zum Vortag der Geburt gearbeitet, ich solle mich zusammenreissen. Die Sache hat mir die Schwangerschaft zur Hölle gemacht. Ich denke, sie wollte mich aus dem Job mobben. Nach dem Mutterschaftsurlaub wollte ich wieder zu 80 Prozent einsteigen. Doch sie meinte, ich könne als Mutter wohl kaum so viel arbeiten, jemand anderes habe nun bereits sein Pensum aufgestockt. Später hat sie mir ein unvollständiges Zeugnis ausgestellt.»
Kita-Angestellte (30): «Ich erhielt nur noch 30 Prozent meines Lohns»
«Als ich Komplikationen hatte, schrieb mich meine Frauenärztin teilweise krank. Ab da mobbte mich meine Chefin, irgendwann zahlte sie mir nur noch 30 Prozent des Lohns aus. Ich wandte mich an meine Rechtsschutz-, dann an ihre Lohnausfallversicherung – und bekam recht. Über ihre Sekretärin liess sie mir ausrichten, dass sich dadurch ihre Prämien verteuern würden. Und mein Verhalten sei unfair, weil meine Kollegen für mich einspringen mussten. Das nach elf Jahren in dieser Kita, für die ich alles gegeben hatte! Ich fühle mich gedemütigt, als hätte ich null Wert.»