Stadtpräsident Kurt Fluri tritt ab
Götterdämmerung in Solothurn

Seit über 100 Jahren besetzt die FDP das Solothurner Stadtpräsidium. Jetzt tritt Doyen Kurt Fluri ab – und die SP hat gute Chancen, die liberale Bastion zu erobern.
Publiziert: 19.09.2021 um 01:08 Uhr
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Seit 1908 ist das Solothurner Stadtpräsidium in der Hand der FDP.
Foto: Switzerland Tourism
Danny Schlumpf

Seit 1908 bietet die FDP ihren Mitgliedern einen exklusiven Job an: das Stadtpräsidium von Solothurn. In über 100 Jahren konnte keine andere Partei den Thron erobern. Den letzten Versuch wagte SP-Nationalrätin Franziska Roth (55) vor vier Jahren.

Doch an Kurt Fluri (66) kam auch sie nicht vorbei: 28 Jahre lang lenkte er die Geschicke der Stadt – unbestritten und ohne einen einzigen Patzer. «Für Skandale hatte ich keine Zeit», sagt Fluri.

Doch jetzt tritt der FDP-Magistrat ab – und das verändert alles: Im ersten Wahlgang Mitte Juni verfehlte SP-Kandidatin Stefanie Ingold (54) das absolute Mehr nur um 70 Stimmen. Aber auch der Vorsprung auf FDP-Kandidat Markus Schüpbach war hauchdünn. Das Rennen ist völlig offen. Am kommenden Sonntag fällt die Entscheidung.

Nominationszwist in der FDP

Was braucht es, um eine Stadt erfolgreich zu führen? «Eine dicke Haut unter Wahrung der Sensibilität gegenüber aufziehenden Unwettern und breite politische Kenntnisse», sagt Kurt Fluri. Bloss: Politische Erfahrung bringen weder Schulleiterin Ingold noch Gebäudeversicherungsdirektor Schüpbach mit. Beide sitzen erst seit diesem Frühling im Gemeinderat.

Dabei hätte sich in den FDP-Reihen durchaus ein Mann für das Stadtpräsidium interessiert, der politisches Rüstzeug mitbringt. Doch der breit vernetzte Kantonsrat Marco Lupi (44) scheiterte an der Nominationsversammlung seiner Partei am politischen Neuling Schüpbach.

Das lag nicht zuletzt an Kurt Fluri selbst, der sich für Schüpbach einsetzte: «Er hat eine breite Ausbildung und grosse Führungserfahrung.» Darauf ging ein lautes Raunen durch die Gassen Solothurns. Langjährige FDP-Mitglieder traten aus – und in der Wahl von Mitte Juni warfen viele Liberale leer ein.

«Natürlich gab es enttäuschte Anhänger von Marco Lupi», sagt Markus Schüpbach. «Aber von einem Massenexodus kann keine Rede sein.» Die fehlende politische Erfahrung will Schüpbach mit Führungsqualitäten wettmachen, die er sich im Beruf erarbeitete – als Chef des Thurgauer Elektrizitätswerks und als Direktor der Solothurnischen Gebäudeversicherung.

Schlammschlacht gegen SP-Kandidatin

Führungserfahrung hat auch Schulleiterin Ingold, die seit zehn Jahren die gesamte Oberstufe von Solothurn dirigiert. «In der Schule trifft sich die ganze Bevölkerung», sagt Ingold. «Ich kenne die Stadt und die politischen Mechanismen.» Im Frühling erzielte sie das beste Resultat aller Kandidierenden für den Gemeinderat. Was einige Leserbriefschreiber aus FDP-Kreisen dazu antrieb, auf die Frau zu spielen: Ingold sei inkompetent und lediglich die Strohfrau des mächtigen SP-Politikers Matthias Anderegg (54).

Die Schlammschlacht gibt immer noch zu reden – und die Nervosität steigt. Denn in Solothurn bahnt sich Historisches an: Stefanie Ingold hat gute Chancen, die FDP nach über 100 Jahren vom Sockel zu stossen und als erste Frau das Stadtpräsidium zu erobern.

Götterdämmerung in Solothurn? Kurt Fluri winkt ab: «Das würde ja bedeuten, dass nach mir alles kaputtginge. Doch das wäre gar nicht möglich – und ich traue es auch weder Stefanie Ingold noch Markus Schüpbach zu.»

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