Er ist wohl der berühmteste Bestatter der Schweiz. Abgesehen vielleicht von Luc Conrad aus der SRF-Serie «Der Bestatter»: Kevin Huguenin (21) aus Münchenbuchsee BE.
Bereits als 16-Jähriger gründete er ein Bestattungsunternehmen (Werbeslogan: «Freundlich und familiär»). Mittlerweile ist Huguenin mit mehreren Niederlassungen im Kanton Bern dick im Geschäft. Das SRF drehte einen Dok-Film über ihn. Kult-Talker Kurt Aeschbacher (72) lud ihn in seine Sendung ein. Auch Blick hat den Selfmade-Unternehmer einst porträtiert.
Nun zeigt sich: Sein Unternehmen geschäftet nicht besonders pietätvoll. Blick sprach mit mehreren geschockten Angehörigen von Toten.
Nur widerwillig wird die Leiche übergeben
Kim G.* verlor im Dezember 2020 ihren Vater. Der Mann starb am 5. Dezember in seiner Wohnung. Die Kantonspolizei Bern beauftragte an diesem Abend Kevin Huguenin damit, den Leichnam aus der Wohnung in ein Kühlhaus zu bringen. Der Bestatter hatte an diesem Abend Pikettdienst für solche Einsätze.
Bereits am nächsten Tag jedoch ging das «Gschtürm» los, wie Kim G. zu Blick sagt. Denn: Huguenin wollte schnellstmöglich den Auftrag für die gesamte Bestattung einsacken. Die Tochter gab den Auftrag jedoch einem anderen Bestatter und meldete es Huguenin, damit dieser die Übergabe des Leichnams organisieren kann.
Rechnung für einen Einsatz über 2000 Franken
«Ab da setzte er uns unter Druck und sagte, dass er zuerst eine Rechnung für den Einsatz am Vorabend schicke, die wir schnellstmöglich unterschreiben müssen», so die Angehörige weiter. Erst danach gäbe er den Leichnam frei. «Ich war komplett überrumpelt, nach dem Tod meines Vaters waren noch keine zwölf Stunden vergangen», so Kim G. «Es fühlte sich so an, als nähme er die Leiche meines Vaters als Geisel!» Notgedrungen unterschrieb die Familie die Rechnung – Huguenin übergab den Leichnam aber erst drei Tage nach der Bergung dem Bestatter der Familie.
Und: Die Rechnung, die die Familie für den knapp zweistündigen Einsatz zahlen musste, ist happig – über 1500 Franken will Huguenin haben. 1198 Franken für den Einsatz vor Ort. 295 Franken «Benützungspauschale» für den Kühlraum seiner Firma.
Andere Bestatter staunen über die Mond-Preise
Eine viel zu teure Rechnung, wie eine Umfrage von Blick bei mehreren Bestattungsunternehmen im Raum Bern zeigt. Roberto Giovanelli, Geschäftsleiter des Berner Bestattungsunternehmen Abbetti AG, verlangt etwa für die Bergung eines Leichnams zwischen 500 und 800 Franken. «Bei 800 Franken würde es sich aber bereits um eine anspruchsvollere Bergung handeln», so Giovanelli.
Und eine Pauschale für den Kühlraum kennt er auch nicht bei der Erstbergung: «Die ersten 24 Stunden sind inklusive bei den Bergungskosten. Falls eine längere Dauer erforderlich sein sollte, werden 30 Franken pro Tag in Rechnung gestellt», so der Bestatter weiter.
Kampf um Leichnam
Auch die Bestattungsfirma Aurora aus dem Kanton Bern musste im Oktober 2020 mit Huguenin schon um die Herausgabe einer verstorbenen Person kämpfen.
Wieder wurde Huguenin von der Kantonspolizei Bern zur Erstbergung eines Toten aufgeboten. Später forderte er, dass die Angehörigen zuerst die Rechnung für diesen Einsatz zahlen, ansonsten werde der Leichnam nicht an Aurora übergeben. Dieser lag in einem kostenpflichtigen Kühlraum von Huguenins Firma in Münchenbuchsee, obschon am Bergungsort in Zollikofen BE kostenlose und für Bestatter jederzeit zugängliche Aufbahrungsräume der Wohnortsgemeinde zur Verfügung stehen.
Freier Zugang zum Toten als Druckmittel
Gyan Härri (50), Geschäftsführer von Aurora, zeigt sich entsetzt über dieses Verhalten. «Es ist einem Bestatter schlicht verboten, so zu handeln. Die Angehörigen müssten freien Zugang zum Leichnam haben. Und es grenzt an Nötigung, wenn Huguenin diesen als Druckmittel zur Eintreibung einer Rechnung benutzt», sagt er zu Blick.
Erst auf scharfe Intervention gab Huguenin den Leichnam frei. Allerdings übergab er ihn nicht in seinen Räumlichkeiten oder auf dem nahen Friedhof Zollikofen. Stattdessen brachte er den Leichnam eigenmächtig von Münchenbuchsee ins Krematorium Bern. Aurora-Chef Härri dazu: «Huguenin missachtete damit den Willen der Angehörigen und stellte diesen nicht gewünschten Transport auch noch in Rechnung.»
Friedhof nur wenige Meter entfernt
Noch extremer ging der Jung-Bestatter Anfang März in der Stadt Bern vor. Ein Nachbar meldete einen toten Mann in einer Wohnung unweit des Bremgartenfriedhofs. Auch hier bot die Kantonspolizei Huguenins Firma für die Bergung auf. Der Bestatter erschien dabei zusammen mit einer jungen Mitarbeiterin. Weil der Lift im Wohnhaus zu klein war, hätten sie den toten Mann durchs Treppenhaus nach draussen tragen müssen. Das konnten die beiden allerdings nicht ohne die Hilfe der Angehörigen.
Huguenin brachte den Leichnam dann nach Münchenbuchsee in den Kühlraum seiner Firma. Obwohl der öffentliche Kühlraum des Bremgartenfriedhofs, für den auch Huguenin einen Schlüssel hat, keine hundert Meter entfernt war. Darauf folgte das gleiche Spiel wie bei Kim G.
Kostenpunkt: über 2000 Franken für einen Einsatz, der 90 Minuten dauerte. «Obwohl wir mitgeholfen haben», so der fassungslose Angehörige zu Blick. Auch in diesem Fall wollte Huguenin dem Bestatter der Familie den Leichnam nicht überlassen: «Unser Bestatter durfte meinen Onkel nicht in Münchenbuchsee abholen, um ihn zu richten.»
Stattdessen brachte Huguenin den Leichnam nach vielen Diskussionen ins Krematorium nach Bern. Für diesen Weg verrechnete Hugenin je 60 Minuten Arbeitszeit für zwei seiner Mitarbeiter. «Wir fühlten uns über den Tisch gezogen. Doch wir hatten einfach keine Kraft, mit ihm übers Geld zu streiten», so der Angehörige weiter.
Staatsanwaltschaft ermittelt in diversen Punkten
Huguenins Preispolitik sorgt in der ganzen Branche für Unmut, wie Blick-Recherchen zeigen. Auch die Berner Staatsanwaltschaft bestätigt, dass gegen Huguenin ein Verfahren eingeleitet wurde. Mehrere Unternehmen sollen im April als Zeugen einvernommen werden. Die Vorwürfe: Wucher, Betrug und Urkundenfälschung.
Selbst die Ombudsstelle des Schweizerischen Verbands der Bestattungsdienste muss dort als Zeuge aussagen, wie Ombudsmann Adrian Hauser bestätigt.
Dass ein Strafverfahren gegen Huguenin läuft, heisst allerdings nicht, dass sich dieser tatsächlich widerrechtlich verhalten hat. Ob die Vorwürfe gegen ihn erhärtet werden können, wird sich in den Ermittlungen noch zeigen müssen. Blick hat Kevin Huguenin vergangene Woche die Möglichkeit gegeben, sich gegen die Vorwürfe der Angehörigen zu verteidigen – und sich zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu äussern. Die Antwort erreichte Blick per Mail: «Aktuell werden wir keine Stellung nehmen.» Für den jungen Bestatter gilt die Unschuldsvermutung.
* Name geändert