Die Schenkkreis-Morde von Grenchen SO hatten 2009 für grosses Aufsehen gesorgt. Eine dreiköpfige Familie wurde von zwei Männern (damals 27 und 35) brutal getötet. Drahtzieherin war Sandra T.* (61), die wie die Haupttäter eine lebenslängliche Freiheitsstrafe erhielt – was in der Schweiz mindestens 15 Jahre bedeutet. Doch Sandra T. ist laut BLICK-Recherchen noch vor Ablauf dieser Frist in den offenen Vollzug gekommen. Bei den Angehörigen der Ermordeten löst das Entsetzen aus. «Dass eine wegen mehrfachen Mordes verurteilte Frau nach 13 Jahren wieder solche Freiheiten geniessen kann, ist ein Skandal», sagt der Hinterbliebene Josef S.** (80) zu Blick. Der Aarauer Fachanwalt für Strafrecht, André Kuhn (48), erklärt, wie es zum frühen offenen Vollzug kommen konnte.
Blick: Herr Kuhn, was bedeutet ein offener Vollzug?
André Kuhn: Wer in eine geschlossene Anstalt eingewiesen wurde, kommt gegen Ende der Strafe meist in eine offene Anstalt, weil dann die Fluchtgefahr gesunken ist. Diese Anstalten sind weniger gut gesichert und die Gefangenen haben theoretisch die Möglichkeit zu einer relativ einfachen Flucht.
Müsste die Verurteilte für «lebenslänglich» denn nicht mindestens 15 Jahre im Gefängnis bleiben?
Nein. Wenn sich die gefangene Person im Vollzug wohl verhalten hat und keine Rückfallgefahr besteht, kann ein offener Vollzug rechtlich schon früher erfolgen. Wenn ausserordentliche Umstände vorliegen, wie etwa eine schlechte Gesundheit, ist nach zehn Jahren sogar eine bedingte Entlassung in die Freiheit möglich.
Für die Angehörigen der drei getöteten Menschen ist dieser offene Vollzug unverständlich.
Ich kann die Enttäuschung von Opferangehörigen zwar nachvollziehen, aber es gibt in der Schweiz keine uneingeschränkte lebenslängliche Freiheitsstrafe. Wenn die Prognosen gut sind, hat die Verurteilte das Recht, die Entlassung aus dem Gefängnis zu verlangen. Wichtig ist aber, dass positiv lautende Gutachten vorliegen und diese von guter Qualität sind.
Dennoch bleibt ein Restrisiko.
Der Strafvollzug erfolgt in der Schweiz nach dem standardisierten Konzept des risiko-orientierten Strafvollzugs. Dieser schreibt vor, dass im Verlauf des Strafvollzugs das Rückfallrisiko abgeklärt wird. Dabei werden psychiatrische Gutachten erstellt und daraus eine sogenannte Legalprognose gemacht. Bei der Prüfung des Rückfallrisikos gilt ein strenger Massstab, und ein solches Gutachten wird von mehreren Personen geprüft.
Spielt denn bei solchen Entscheiden die Tat selber auch eine Rolle?
Ja. Je gefährlicher die Delikte, umso schwerwiegender ist die Gefahr bei einem Rückfall. Das spielt eine wesentliche Rolle.
Warum scheint die Verurteilte von den Strafvollzugsbehörden dennoch mit Samthandschuhen angefasst?
Im Strafvollzug gilt neben dem Grundsatz der Vergeltung eben auch der Grundsatz der Resozialisierung. Straftäter sollen nach Ende der Strafe wieder selber für sich sorgen können und Mitglieder der Gesellschaft werden. Zu diesem Zweck erfolgen schrittweise Vollzugslockerungen. Die Gefangenen werden dabei engmaschig kontrolliert und müssen sich bewähren. Wer die Auflagen nicht einhält, kommt nicht in den offenen Vollzug und muss in so einem Fall auch lebenslänglich im Gefängnis bleiben.
Dann braucht es Ihrer Meinung nach keine Gesetzesänderung?
Die bestehenden Gesetze erlauben es bereits, eine lebenslänglich verurteilte Person länger als 15 Jahre im Gefängnis zu behalten, wenn eine Rückfallgefahr besteht. Letztlich ist es eine politische Frage, ob man die Dauer von 15 Jahren als angemessen betrachtet.
Können denn Angehörige der Opfer gegen einen solchen Entscheid des offenen Vollzugs ankämpfen?
Opfer haben beim Strafvollzug zwar gewisse Informationsrechte, aber keine Parteirechte. Sie können sich also gegen einen Wechsel in den offenen Vollzug oder gegen eine bedingte Entlassung nicht wehren.
* Name geändert