Er gehört zu den schlimmsten Verbrechen der Schweizer Kriminalgeschichte: der Dreifachmord von Grenchen SO. Am 5. Juni 2009 hatten ein Ex-Sportler (damals 32) und ein ungelernter Koch (damals 24) eine dreiköpfige Familie in ihrer Wohnung getötet. Der Mutter (†55) und ihrer geistig behinderten Tochter (†35) stülpten sie einen Plastiksack über den Kopf. Dem Vater (†60) schoss der Ex-Sportler in den Kopf.
Die damalige IV-Rentnerin Sandra T.* (heute 61) fungierte als Kopf des Mordkomplotts. Weil die beiden Mittäter ihr Geld schuldeten, hatte sie die Idee, die Familie zu überfallen. Denn: Diese war in einen illegalen Schenkkreis verwickelt. Deshalb vermutete T. viel Geld in ihrer Wohnung – die beiden Täter fanden dann jedoch lediglich 5000 Franken, 600 Euro, Modeschmuck und vier Uhren. Nach der Tat der beiden Männer half T. zudem, Beweise zu vernichten.
Dreimal lebenslänglich
Die Polizei konnte später die Verdächtigen verhaften. Das Amtsgericht Solothurn-Lebern verurteilte alle drei im Mai 2012 wegen mehrfachen Mordes, qualifizierten Raubes, strafbarer Vorbereitungshandlungen zu Raub und Mord sowie weiterer Delikte zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen. Das Obergericht bestätigte im Januar 2014 die Verurteilungen. Alle drei Verurteilten zogen zwar vors Bundesgericht. Dieses wies ihre Beschwerden am 28. Januar 2015 jedoch ab.
Jetzt zeigen Blick-Recherchen: Drahtzieherin Sandra T. ist bereits nicht mehr in einem geschlossenen Gefängnis untergebracht, sondern geniesst den offenen Vollzug! Dies, obwohl sie die lebenslängliche Strafe, die in der Schweiz mindestens 15 Jahre bedeutet, noch nicht abgesessen hat. Beim offenen Vollzug handelt es sich um eine offen geführte Vollzugsinstitution mit geringeren Sicherheitsvorkehrungen.
Behörden verweisen auf Persönlichkeitsschutz
Wie erklären die zuständigen Behörden diesen Entscheid bei Sandra T.? Gar nicht. Michael Leutwyler, Amtschef vom Amt für Justizvollzug Kanton Solothurn, sagt zu Blick, man äussere sich «aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht zu Vollzugsfällen oder ihren Verläufen». Er sorgt damit für Verärgerung beim Solothurner SVP-Kantonsrat Rémy Wyssmann (55): «Dieses Verhalten ist wieder mal typisch Kanton Solothurn: Geheimniskrämerei pur! Die Behörden haben in den letzten Jahren unter anderem schon bei Kinderschänder William W. geschlampt, den sie auch rausliessen und der wieder rückfällig wurde.»
Man könne nur hoffen, dass in diesem Fall eine verurteilte Mehrfachmörderin nicht wieder rückfällig werde. Wyssmann: «Ein Restrisiko bleibt immer. Für mich sollte in einem solch schlimmen Fall lebenslänglich auch wirklich lebenslänglich bedeuten.»
Ein Mörder konnte sich ins Heimatland absetzen
Tatsächlich gab es in den vergangenen Jahren noch weitere fragwürdige Entscheide der Solothurner Justizbehörden. So lief etwa ein Mann, der 1999 in Olten SO seine Frau umgebracht, ihre Leiche im Kinderwagen in den Wald gefahren und dort vergraben hatte, noch während des Prozesses 2006 und drei Monate nach dem Urteil weiter frei herum. Ein Umstand, der damals für viele Schlagzeilen sorgte. Aber auch der Mann, der 2012 in Oensingen SO an einem Zweifachmord beteiligt war, kam bis zum Prozess 2015 ebenfalls frei und konnte sich deshalb ins Heimatland absetzen.
Eine ehemalige Bekannte von Sandra T. bestätigt derweil: «Ich weiss, dass sie schon mindestens ein halbes Jahr lang im offenen Vollzug ist.» Offenbar habe sie schon länger um Hafterleichterungen gekämpft. «Ich weiss, dass sie irgendwann nach etwas mehr als zehn Jahren in Haft begleiteten Ausgang hatte. Dann unbegleiteten. Schliesslich durfte sie ganze Tage und dann auch 48 Stunden lang raus.» Dass Sandra T. jetzt den offenen Vollzug geniessen könne, «kann ich nicht verstehen».
Fachanwalt für Strafrecht erklärt
Wie ist in dem Fall ein offener Vollzug möglich? Für André Kuhn, Fachanwalt für Strafrecht in Aarau, können das nur ausserordentliche Umstände erklären. «Im Normalfall muss man nach einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe mindestens 15 Jahre im Gefängnis bleiben», sagt er zu Blick. Aber: «Wenn sich die gefangene Person im Vollzug wohl verhalten hat und keine Rückfallgefahr besteht, kann ein offener Vollzug rechtlich schon früher erfolgen. Wenn ausserordentliche Umstände vorliegen, wie etwa eine schlechte Gesundheit, ist nach zehn Jahren sogar eine bedingte Entlassung in die Freiheit möglich.»
Laut der Bekannten soll Sandra T. einer Arbeit nachgehen. Und: Sie soll – wenn sie nicht in der offenen Institution ist – im Aargau in einem Wohnwagen eines früheren Kumpels hausen. Ihre Möbel jedenfalls wurden vor etwa einem halben Jahr bei ihrem alten Wohnort abgeholt. Dort möchte man sich nicht zu Sandra T. äussern.
Angehöriger spricht von einem «Skandal»
Es stellt sich die Frage: Gehen die Solothurner Behörden nicht ein zu grosses Risiko bei Sandra T. ein? Schliesslich wurde sie wegen Fluchtgefahr nach dem erstinstanzlichen Urteil noch im Gerichtssaal in Sicherheitshaft genommen. Bei Angehörigen der getöteten Familie ist das Unverständnis entsprechend gross. «Dass eine wegen mehrfachen Mordes verurteilte Frau nach 13 Jahren wieder solche Freiheiten geniessen kann, ist ein Skandal», sagt der Hinterbliebene Josef S.** (80), als er die Neuigkeit von Blick erfährt. «Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.»
Sandra T. schweigt
Ob die beiden Mittäter inzwischen ebenfalls Hafterleichterungen haben, ist unklar. Auch bei dieser Frage verweist Amtschef Michael Leutwyler vom Amt für Justizvollzug Kanton Solothurn auf den Persönlichkeitsschutz. Zu den Vorwürfen des Politikers Wyssmann nimmt er hingegen auf Nachfrage Stellung. «Die öffentliche Sicherheit steht für die Vollzugsbehörde bei ihrer Arbeit im Vordergrund», sagt Leutwyler. Und: «Das Vertrauen der Öffentlichkeit in einen gesetzmässigen Justizvollzug ist uns ein Anliegen. Dieses soll mit einem nach aktuellen Erkenntnissen und Grundsätzen gestalteten Sanktionenvollzug gestärkt werden.»
Und Sandra T.? Sie lässt über den Kumpel im Aargau ausrichten, dass sie ein Interview mit Blick «dankend ablehne».
* Name geändert
** Name bekannt