Hält sich der am 4. Oktober 2022 in Aarau geflüchtete Häftling Amin T.* (34) in der Region Olten SO auf? Blick-Recherchen zeigen: Die Kantonspolizei Solothurn nahm einen wichtigen Hinweis nicht ernst genug.
Denn am Tag, nachdem der Tunesier beim Migrationsamt beim Aussteigen aus dem Gefangenenfahrzeug flüchten konnte, gab es in der Region Olten eine verdächtige Szene: Auf einem Parkplatz treffen sich mehrere Männer, sie diskutieren laut. Einer von ihnen steigt in einen grauen Mercedes und wechselt auf dem Beifahrersitz bei offener Tür nervös seine Schuhe.
Dabei wird der Mann von einer Überwachungskamera gefilmt und von deren Besitzer zufällig kurz gesehen. Weil dieser nicht die einzige Person ist, der diese Szene auffällt, und er später erfährt, dass seit einem Tag ein Häftling auf der Flucht ist, vergleicht er das Fahndungsbild mit seinen Bildern. Mit dem Resultat, dass es der Gesuchte sein könnte. Vorsichtshalber ruft er die Polizei an.
Kantonspolizei Solothurn gibt Fehler zu
«Der Anruf wurde entgegengenommen und unmittelbar danach via Alarmzentrale Solothurn an die Alarmzentrale der Fall führenden Kantonspolizei Aargau weitergeleitet», bestätigt Astrid Bucher von der Kantonspolizei Solothurn. Nur: «Inhaltlich wurden jedoch leider nicht alle Informationen weitergegeben.» Insbesondere seien die vom Melder erwähnten Aufnahmen einer Überwachungskamera gegenüber der Kantonspolizei Aargau «von unserem Mitarbeitenden nicht erwähnt worden».
Womöglich ein fataler Fehler. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass es T. war. Grund: Ihn hätte es nach der Flucht in die Region Olten ziehen können. Dort hielt sich der Tunesier meist illegal auf, seit er 2014 die Schweiz hätte verlassen müssen. Dort fing er auch an, mit Drogen zu dealen. Er wurde zwar elf Mal von der Polizei aufgegriffen, aber immer wieder laufen gelassen.
T. hatte in der Region Olten gute Freunde
Danach schlug T. wieder zu. Er soll seine Freundin, eine weitere Frau und zwei Männer übel verprügelt haben. 2019 wurde er verhaftet. Letzten November wurde er in Olten verurteilt. Doch er zog das Urteil vor das Obergericht, wo der Fall hängig ist.
In der Region Olten hätte T. nach seiner Flucht zudem Freunde gehabt und seine Fluchtkleider gegen einen dunklen Traineranzug mit weissem Streifen austauschen können. Auch zeitlich würde es passen. Nach der Flucht kurz vor 15 Uhr könnte er sich zuerst versteckt, nachts den Wäldern entlang in Richtung Olten gelaufen und gegen Mittag beim Parkplatz gewesen sein.
Kantonspolizei Aargau kümmert sich jetzt darum
Selbst wenn es nicht T. auf den Videobildern wäre – die Polizei weiss: «Selbstverständlich sehen wir uns in der Pflicht, jedem Hinweis nachzugehen und wo erforderlich entsprechend zu handeln», sagt Bucher von der Kantonspolizei Solothurn. Und: «In vorliegendem Fall müssen wir eingestehen, dass es versäumt wurde, den Hinweis vollständig weiterzuleiten. Das bedauern wir ausserordentlich.» Man werde es mit dem betreffenden Mitarbeitenden thematisieren, «damit dies künftig so nicht mehr vorkommt». Bucher hält jedoch fest, dass «grundsätzlich» nicht zu jeder telefonischen Eingangsmeldung ein Eintrag ins Polizeijournal erfolge – wie in dem Fall auch nicht.
Bei der Kantonspolizei Solothurn sind mehrere Hinweise zu T. eingegangen, wie auch bei der Kantonspolizei Aargau. Dort heisst es: «Wir sind allen eingegangenen Hinweisen entsprechend nachgegangen», sagt Sprecher Daniel Wächter. Und: «Inzwischen konnten die Angaben zum Melder auch ausgetauscht werden, und wir nehmen uns dem an.»
* Name geändert