Abscheu. Ekel. Hass. Es sind Gefühle der tiefsten Abneigung, die man in Verbindung bringt mit einer Person, die skrupellos vier Menschen abschlachtet, ein Kind missbraucht, eine Familie auslöscht und viele weitere für ihr Leben lang traumatisiert.
Doch als Thomas N.* (34) am Dienstagmorgen in den Gerichtssaal in Schafisheim AG tritt, als er erstmals öffentlich spricht, als man erstmals seine Stimme vernimmt, seine Bewegungen sieht – da ist vieles ganz anders. N. ist eloquent, freundlich, gescheit. Sein Äusseres ist sehr gepflegt, ja er ist ausgesprochen hübsch. Kurzum: N. wirkt nett. Und irgendwie ganz normal.
Der Eindruck verstört mich. Als Journalistin, die den ganzen Tag mitschreibt, praktisch Protokoll führt von einem der erschütterndsten Prozesse der Schweizer Kriminalgeschichte, gewinnt man Distanz zum Geschehen, zum Geschehenen. Es bleibt fast keine Zeit, sich Gedanken zu machen. Und trotzdem wühlt mich auf, was ich in meinen Laptop tippe.
Was, wenn er auch mich täuscht?
Es sind die «zwei Gesichter» von N., von denen im Verlauf des Prozesses die Rede ist, die auch mich fassungslos machen. Wie kann ein so netter Mensch, wie er nur wenige Meter von mir entfernt sitzt, eine solch abgrundtief grausame Tat begehen? Wie? Und warum bloss?
Ich frage mich: Bin ich unglaublich naiv, ja dumm, wenn ich N. «irgendwie ganz normal» finde? Täuscht er auch mich? Wer ist N. wirklich?
Diese Fragen stellten sich auch die beiden psychiatrischen Gutachter. Wenn sie von N. erzählen, ist die Rede von einem kühlen, perfektionistischen, empathiearmen, stark auf sich selbst bezogenen Menschen. So wirkt N. auch auf mich.
Eine echte, von Reue gezeichnete Entschuldigung kommt N. bis am Schluss nicht über die Lippen. Als seine Verteidigerin in ihrem über dreistündigen Plädoyer den Opfern eine Mitschuld an der Tat gibt, den sexuellen Missbrauch herunterspielt, N. gar als Opfer darstellt, kann ich kaum mitschreiben. «Ich, ich, ich», fasst ein Anwalt N.s Wesen später zusammen. Er ist empört. Ich bin es auch.
Wirklich weh tut das Leid der Hinterbliebenen
Denn was am allermeisten bewegt, ist nicht der Täter und seine abscheuliche Tat. Es ist auch nicht die bis zum Schluss unbeantwortete Frage nach dem Warum. Es ist das Schicksal der Opfer. Und das Leid der Angehörigen. Als ihr Anwalt spricht, in seinem Plädoyer bewegende Worte von ihnen zitiert, bin auch ich den Tränen nahe.
Für mich selbst hat das Grauen mit dem Richterspruch ein Ende. Im Trott des Alltags werden die aufwühlenden Gedanken langsam, nein, wahrscheinlich erschreckend schnell verblassen.
Für die Angehörigen aber bleibt alles. Das Leid, der Schmerz, der Verlust, die Erinnerung. Für immer.
*Name der Redaktion bekannt
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