Verschwundene Halsketten, eingesacktes Bargeld und gebrochenes Vertrauen. Im Kanton Aargau hat eine Spitex-Mitarbeiterin einer Seniorin (93) Schmuck im Wert von rund 30'000 Franken geklaut. In einem weiteren Fall bereicherte sich eine Prosenectute-Angestellte am Bargeld ihrer betagten Klientin. Kürzlich mussten sich beide Frauen vor Gericht verantworten, wie die «Aargauer Zeitung» berichtet. Recherchen zeigen: Es ist nicht der einzige solche Fall.
20 Gegenstände listet die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift im ersten Fall auf. Frau Tushi*, Temporär-Mitarbeiterin bei der Spitex, soll ein grosses Inventar an Schmuckstücken gestohlen haben. Darunter: 1 goldene Armkette (1620 Franken), 1 goldene Halskette (5000 Franken), 1 goldener Ring (1200 Franken). In diesem Stil geht die Liste weiter. Der Wert der gesamten Beute: 30'920 Franken.
Für die beschuldigte Spitex-Mitarbeiterin sei das alles ein grosses Missverständnis, wie sie vor Gericht angibt. Eine der entwendeten Armketten habe sie in der Tasche ihres Enkels gefunden, betont sie. Dieser habe die Kette vor eineinhalb Jahren vom Boden auf einem Spielplatz beim Kantonsspital Aarau mitgenommen, zitiert die «AZ» die Angeklagte. Ihre Schwiegertochter, die als Zeugin geladen war, bestätigte diese Aussage nicht. Sie schwieg vor Gericht.
Fälle in mehreren Kantonen
Alle Begründungen der Spitex-Mitarbeiterin halfen nichts. Der zuständige Richter verurteilte die Täterin zu einer bedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten. Zudem muss sie eine Geldstrafe von insgesamt 3000 Franken zahlen.
Der Fall in Aarau ist kein Einzelfall. Vor ein paar Wochen wurde im nicht weit entferntem Lenzburg AG ein ähnlicher Fall verhandelt. Eine Mitarbeiterin der Pro Senectute wird beschuldigt, einer 93-Jährigen Schmuck und Bargeld geklaut zu haben. Die mittlerweile verstorbene Seniorin habe auf einmal Goldringe, Colliers, vier Goldvreneli und einen kleinen Goldbarren vermisst, schreibt die «Aargauer Zeitung». Die Polizei habe der Täterin in der Folge eine Falle gestellt: Sie platzierte ein Couvert mit drei 50 Franken-Noten im Schlafzimmer der Seniorin. Als das Geld fehlte, rief die rüstige Seniorin die Polizei. Die Dame konnte angehalten werden.
Polizei stellte Falle
Vor Gericht sagte die Beschuldigte aus, sie habe das Couvert von der Seniorin selbst bekommen. Diese hätte ihr mehrfach Geld für Einkäufe gegeben, das sei also nichts Aussergewöhnliches gewesen. Laut dem Richter könne der Frau nur der Diebstahl des Geldes nachgewiesen werden. Vom Vorwurf des Schmuckdiebstahls wurde die Frau freigesprochen.
In anderen Kantonen schlagen die fiesen Diebe ebenfalls zu: Im Dezember 2023 flog in Schwyz ein junger Spitex-Pfleger auf, der mehrere Senioren bei seiner sogenannten «Handmassage» bestohlen hatte. Eine weitere Masche: Diebe geben sich bei älteren Menschen als Handwerker oder Goldschmiede aus: Im November 2019 stahl ein Trickbetrüger in Rieden AG einer 78-jährigen gehbehinderten Frau Schmuck im Wert von rund 100'000 Franken, nachdem er ihr angeboten hatte, diesen zu reparieren.
Schadenssumme seit 2018 um zwei Drittel gestiegen
Eine kürzlich veröffentlichte Studie von Pro Senectute zeichnet ein alarmierendes Bild: So kam es seit 2018 zu einem deutlichen finanziellen Missbrauch an Seniorinnen und Senioren. Vor sechs Jahren sei dieselbe Studie schon einmal durchgeführt worden – dieses Mal ist die Schadenssumme jedoch um zwei Drittel höher und liegt bei fast 3,5 Milliarden Franken. Rund 1,27 Milliarden fallen unter den Vertrauensmissbrauch durch eine Fachkraft.
Die Spitex- und Pflegeorganisationen betonen die Seltenheit dieser Vorfälle. Der Fall im Kanton Aargau sei der erste seit 13 Jahren, erklärt Pirmin Kaufmann, Geschäftsleiter bei Pro Senectute Aargau gegenüber der «AZ». Die Mitarbeiter würden vor der Einstellung nicht speziell durchleuchtet.
Laut Bernhard Graser, Mediensprecher bei der Kantonspolizei Aargau, finden in Alters- und Pflegeheimen hingegen immer wieder Diebstähle statt. Er befürchtet zudem eine hohe Dunkelziffer: «Gerade bei hochbetagten oder dementen Personen könnte das Fehlen von Bargeld oder Schmuck unter Umständen lange oder vollständig unbemerkt bleiben», sagt Graser.