«Wenn ich zu ihr gehe, gehe ich in ihren Garten»
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Mutter von Lucie (†16):«Wenn ich zu ihr gehe, gehe ich in ihren Garten»

Heute hätte Mordopfer Lucie (†16) Geburtstag gehabt – Blick trifft ihre Mutter am Grab
«Ihre Lebensfreude begleitet uns für immer»

Woher nimmt Nicole Trezzini (63) die Kraft, dies alles durchzustehen? Ihre Tochter Lucie (†16) wurde getötet. Dann nahm sich ihr Mörder D.H. (†40) im Gefängnis das Leben - drei Tage vor Lucies Geburtstag, dem 24. Dezember. Doch die Mutter hat ihr Lächeln nicht verloren.
Publiziert: 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 13:24 Uhr
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Nicole Trezzini (63) am Grab ihrer ermordeten Tochter Lucie (†16). Der Geburtstag ihrer Tochter bleibt für die Mutter trotz allem ein Tag der schönen Erinnerungen.
Foto: Thomas Meier

Auf einen Blick

  • Mutter von ermordeter Lucie (†16) besucht ihr Grab zum Geburtstag
  • Lucies Freunde feiern ihren Geburtstag am Grab mit Champagner und Kuchen
  • Nicole Trezzini ist inzwischen dreifache Grossmutter
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Ralph DonghiReporter News

Nicole Trezzini (63) steht am Grab ihrer Tochter (†16) – und lächelt: «Ich fühle mich hier gut mit Lucie. Ihr Geburtstag ist ein Tag der Freude!» Es war der 24. Dezember 1992, als Lucie das Licht der Welt erblickte. Nur 17 Jahre später hat ihre Ermordung die ganze Schweiz erschüttert.

Das Au-Pair-Mädchen wurde von D.H.* (†40) am 4. März 2009 mit dem Versprechen auf einen Model-Job in seine Wohnung nach Rieden AG gelockt und brutal getötet.

Vor einem Jahr hat D.H. im Gefängnis Suizid begangen, drei Tage vor Lucies Geburtstag. Für ihre Mutter eine Erleichterung. Dennoch sagte sie: «Ich habe ihm den Tod nicht gewünscht.»

Blick besuchte Mutter von Lucie (†16)

Blick hat sie in Le Mouret FR besucht. Die pensionierte Lehrerin wohnt heute in einer neuen Wohnung, ist seit 2005 von Lucies Vater getrennt. Ihre anderen Kinder (29/35) sind erwachsen: «Ich bin jetzt dreifache Grossmutter», sagt sie stolz. «Sie sind klein, sprechen aber bereits von Tante Lucie im Himmel!»

Sie wirkt gut gelaunt. Aber der Tag der Tat, der 8. März 2009, hat sich in ihre Seele eingebrannt. «Es war der Horror. Ich brach zusammen.»

«Auch heute gibt es die traurigen Tage noch»

Nach der Tat begann ein Kampf um Gerechtigkeit. Die Behörden gaben am Ende zu, dass sie bei D.H. Fehler gemacht hatten. «Unter anderem wurde bei ihm die Gefährlichkeit nach einem ersten Vorfall mit einer Frau falsch eingeschätzt.»

Strafrechtlich wird D.H. im 2012 wegen Mordes zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe plus Verwahrung verurteilt. Lucies Mutter wird nachdenklich: «Meine grösste Angst war, dass er irgendwann wieder frei kommt und wieder so etwas tut.» Und: «Er war ein kranker Mann.» 

Dann holt sie zwei Schachteln voller Erinnerungen hervor. «Lucie bastelte viel und malte Bilder.» Überall in der Wohnung hängen die Kunstwerke. «Sie ist allgegenwärtig und jeden Tag bei mir und in meinem Herzen», sagt die Mutter und greift an eine Kette am Hals, die Lucie gehörte.

Dann erzählt sie von der «problemlosen» Geburt 1992. Sie sei in Ruhe mit ihrem Baby im Krankenhaus gewesen. «Fernab vom Trubel der Feiertage, ich habe es wirklich als Geschenk empfunden!»

Am Tag vor ihrem Tod war Lucie «fröhlich»

Lucie sei ein sehr fröhliches Kind gewesen, sagt die Mutter. Sie hätten immer zusammen Geburtstag gefeiert und am Tag darauf Weihnachten. «Sie erhielt an beiden Tagen Geschenke. Es war immer sehr schön.»

Dann kam der letzte Tag vor Lucies Tod. «Wir hatten während ihrer Pause telefoniert», erinnert sie sich. «Lucie war am See in Pfäffikon SZ, ich konnte die Enten hören. Sie war fröhlich.»

Am Tag ihres Todes habe Lucie versucht, ihre Mutter zu erreichen. «Sie sass im Zug nach Zürich. Aber ich konnte nicht antworten, weil ich im Unterricht war.» Den letzten Anruf der Tochter – Nicole Trezzini hat ihn verpasst.

Lucies Geburtstag wird an ihrem Grab gefeiert

Heute wäre Lucie 32. «Wir feiern die Freude und die Dankbarkeit trotzdem, sie gekannt und geliebt zu haben», sagt ihre Mutter. Lucies Freunde treffen sich jeweils an ihrem Grab, bringen Champagner und Kuchen mit. «Sie backte gerne Apfelkuchen und Zopf am Sonntag. Sie liebte es, zu feiern und gut zu essen», so die Mutter.

Sie erklärt: «Die Idee mit dem Treffen am Grab stammt von ihren Freunden. Es hilft ihnen sehr, ihren Geburtstag weiterzufeiern.» Beim ersten Mal hätten sie noch Angst gehabt, damit zu schockieren. Aber: «Ich habe ihre rührende Initiative sofort angenommen. Sie hat mir geholfen, den 24. Dezember gelassen zu erleben.»

«Ich bin dankbar, gläubig zu sein»

Wie weit hat sie ihren Tod verarbeitet? «Ich lebe meinen Alltag mit dieser Realität, es ist mittlerweile Teil meines Lebens.» Und: «Ich denke jeden Tag an Lucie, aber nicht an ihr tragisches Ende.» Tränen und Lachen würden sich oft vermischen. Aber sie sagt auch: «Das Leben ist schön, ich glaube daran und bin zuversichtlich.»

Sie habe eine Art Wendepunkt erlebt: «Das Leben gehört nicht mir, ich gehöre dem Leben. Ich fühlte mich wie ein kleines Segelboot auf dem Ozean: Ich kann die Richtung des Windes nicht bestimmen, ich kann nur das Segel halten, um voranzukommen.» Zudem seien ihre anderen Kinder noch da. «Lucie und sie sind einfach ein Geschenk.» Und: «Ich bin dankbar, gläubig zu sein.»

Dann nimmt Nicole Trezzini Blick mit zum Grab von Lucie. «Sie hat ihr Leben in vollen Zügen gelebt», sagt sie. Und selbst wenn ihr irdisches Leben von kurzer Dauer gewesen sei: «Ich glaube, dass alle, die sie kannten, dasselbe Gefühl haben: Lucie war strahlend. Und ihre Lebensfreude begleitet uns für immer.»

* Name bekannt

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