Obwohl gegen ihn seit über einem Jahrzehnt ein Verfahren läuft, ist ein Schweizer Grenzwächter noch immer im Dienst. Der Mann steht unter Tötungsverdacht, ein rechtskräftiges Urteil liegt aber bis heute keines vor – und das, obwohl der Fall bereits vor Gericht war. Diese Woche beurteilt das höchste Militärgericht den Fall erneut. Das berichtet die «Aargauer Zeitung» (AZ).
Doch was ist damals überhaupt vorgefallen? Die Geschichte nimmt ihren Lauf am 19. November 2012. Zwei Grenzwächter führen in Bad Zurzach AG eine Routine-Kontrolle durch. Dabei wollen sie einen auffälligen VW Passat mit deutschem Kennzeichen stoppen. «Das Auto passte nicht in den Verkehr», erklären sie später vor Gericht.
Statt anzuhalten, drückt der Lenker des Passats aber aufs Gas und rast davon. Es folgt eine filmreife Verfolgungsjagd mit Blaulicht und Sirene. Schliesslich muss der Wagen gezwungenermassen anhalten und die Grenzwächter nähern sich dem Auto mit gezückter Pistole.
Er versuchte davonzurennen, doch dann wurde er verhaftet
Plötzlich rast der Wagen rückwärts. In Sekundenschnelle muss der Grenzwächter einen Entscheid fällen. Das tut er auch – und drückt fünfmal ab. «Ich wusste in diesem Moment einfach, dass ich dieses Fahrzeug stoppen musste», sagt der Grenzwächter laut der AZ später vor Gericht. Schliesslich habe es sich im vorliegenden Fall nicht nur um einen Geister-, sondern auch um einen Amokfahrer gehandelt.
Obwohl einer der Schüsse den rechten Oberarm des Lenkers durchdringt, setzt dieser erneut zur Flucht an. Auch eine in Rorbas ZH errichtete Sperre der Kantonspolizei umfährt der Mann erfolgreich. Obwohl Schüsse fallen, flieht der Mann erneut.
In Pfungen ZH nimmt die Verfolgungsjagd schliesslich ein Ende. Der Mann verliert die Kontrolle über den Wagen, das Auto kommt zum Stillstand. Obwohl der Lenker noch versucht davonzurennen, gelingt es den Beamten schliesslich, ihn zu verhaften.
«Wenn alle so herumschiessen würden, hätten wir Zustände wie in den USA»
Während der Deutsche vor Gericht wegen seiner Raserfahrt verurteilt wird, steht das rechtskräftige Urteil gegen den Grenzwächter noch aus. Klar ist bisher lediglich, dass er sich wegen versuchter Tötung verantworten muss. Das Verfahren gegen den inzwischen 44 Jahre alten Mann aus dem Kanton Aargau läuft bereits seit elf Jahren. Auf Anfrage der «Aargauer Zeitung» will sich der Mann nicht zum Vorfall oder dem laufenden Verfahren äussern.
Doch wie kann es sein, dass das Ganze so lange dauert? Wie es im Bericht heisst, habe sich die dafür zuständige Militärjustiz für den Fall sehr viel Zeit gelassen. Es folgten Meinungsverschiedenheiten bei den weiteren Instanzen: Während das eine Amt den Grenzwächter für schuldig sprach, folgte bei der nächsten Instanz ein Freispruch. Dieser wurde wiederum vom höchsten Militärgericht aufgehoben.
Während die einen Stellen der Meinung sind, dass der Grenzwächter nur seinen Job machen wollte, argumentieren andere, dass sich der Mann in keiner Notsituation befunden habe und Schüsse auf fahrende Fahrzeuge in einer derartigen Situation unverhältnismässig seien. «Wenn alle Polizisten so herumschiessen würden wie dieser Grenzwächter, hätten wir Zustände wie in den USA», argumentierte Duri Bonin, der Anwalt des Privatklägers.
Ob der Grenzwächter nach elf Jahren endlich mit einem Urteil rechnen kann, wird sich zeigen. Das höchste Militärgericht behandelt den Fall am Donnerstag. (dzc)