Missbrauch in der eigenen Familie
Eine überfällige Debatte

Die #MeTooInceste-Bewegung schaffte es bisher nicht in die Schweiz. SonntagsBlick-Redaktorin Camille Kündig hofft, dass der mutige Schritt an die Öffentlichkeit von Ex-Miss-Schweiz Sarah Briguet dies ändert.
Publiziert: 14.02.2021 um 12:03 Uhr
Camille Kündig, Redaktorin SonntagsBlick.
Foto: Thomas Meier
Camille Kündig

Anja Böni, Oberärztin der Opferberatungsstelle des Kinderspitals Zürich, schätzt: «Im Lauf seiner Kindheit wird jedes dritte bis fünfte Mädchen sexuell missbraucht.» Und so unvorstellbar es auch klingt – der Missbrauch spielt sich häufig in der eigenen Familie ab.

Das Westschweizer Fernsehen kam ­auf die Zahl von 350 Kindern, die pro Jahr Opfer von Inzest werden. Doch dies sind nur Fälle, die vor der Justiz landen. Betroffene schweigen oft, weil sie ihre Angehörigen nicht erschüttern wollen. Täter sind Väter, Mütter, Geschwister, geliebte Verwandte. Was die Opfer in umso grössere Not treibt.

Sexueller Missbrauch in der Familie ist ein verbreitetes Phänomen. Doch (fast) ­niemand spricht darüber. Organisationen der Opferhilfe weisen seit Jahren darauf hin. In die Zeitungen schaffen sie es so gut wie nie. Auch die Betroffenen schweigen – aus Angst, Scham oder Rücksicht auf ihr Umfeld. Eltern sind kaum sensibilisiert, Kinder viel zu selten aufgeklärt.

In Frankreich beginnt das Tabu zu bröckeln. Aufgrund des Buchs von Camille Kouchner ist die Justiz mit vielen Fällen konfrontiert. Die Anwältin schildert darin den Missbrauch ihres Bruders durch den Stiefvater, den Medienstar Olivier ­Duhamel. Es brauchte erst diesen Fall aus einer prominenten Intellektuellenfamilie, um anderen Opfern die Courage zu geben, sich an die Justiz zu wenden.

Die #MeTooInceste-Bewegung schaffte es bisher nicht in die Schweiz – nun macht der mutige Gang von Ex-Miss-Schweiz Sarah Briguet an die Öffentlichkeit Hoffnung, dass sich dies ändert.

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