Millionen-Betrug auf Facebook
Wie Kriminelle ihre Geldwäscher rekrutieren

Auf Verkaufsplattformen zocken Betrüger Gutgläubige ab und missbrauchen sie als Geldwäscher. Der Beobachter deckt ihre Masche auf.
Publiziert: 20.06.2024 um 15:01 Uhr
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Aktualisiert: 22.06.2024 um 08:55 Uhr
Fake-Profile mit Fake-Angeboten: Auf Facebook Marketplace ködern Kriminelle Ahnungslose mit nicht existierenden Produkten, etwa Brennholz.
Foto: Beobachter
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Otto Hostettler
Beobachter

Auf Online-Marktplätzen ist die Falle oft nur einen Klick entfernt. Betrüger fluten solche Plattformen – vor allem Facebook Marketplace – mit Inseraten für beliebte Produkte: Playstation, Thermomix-Küchengeräte oder Brennholz. In einer verdeckten Recherche hat der Beobachter über Monate die Vorgehensweise solcher Betrüger untersucht.

Fazit: Mit einfachen Tricks gaukeln sie vor, Schweizer Privatpersonen zu sein, die Produkte verkaufen. Sie verlangen Vorauskasse oder eine Anzahlung – die Ware liefern sie nie.

Artikel aus dem «Beobachter»

Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

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Das Geschäft funktioniert mit sogenannten Money Mules (Geldeseln). Das sind Privatpersonen, die – oft aus finanzieller Not – den Kriminellen ihr Bankkonto zur Verfügung stellen und sich so der Geldwäscherei schuldig machen. Viele von ihnen sind selbst Opfer eines Online-Betrugs geworden, bevor sie rekrutiert wurden. In der Schweiz werden etwa 2000 Bankkonten für solche Zwecke genutzt, schätzen Ermittler und Fachleute der Betrugsbekämpfung. Jetzt haben die Betrüger Twint entdeckt. Damit funktioniert ihr System noch besser. Doch dazu später.

Die Spuren der Hintermänner führen sehr oft nach Westafrika: nach Benin, Ghana und Nigeria. Die Money Mules sind das Rückgrat ihrer kriminellen Tätigkeit. In einer gross angelegten Aktion gelang es Europol Ende 2022, in 25 Ländern 8755 Money Mules zu identifizieren.

In der Schweiz meldeten Banken im Jahr 2021 den Behörden 5300 verdächtige Konten, über sechsmal mehr als 2010. Der überwiegende Teil gehört Money Mules, grosse Fälle von Geldwäscherei gibt es wenige. Von diesen 5300 Fällen leitete die Meldestelle für Geldwäscherei 1351 Fälle mit «begründetem Verdacht» an die kantonalen Staatsanwaltschaften weiter, jedes Jahr kommt es zu Hunderten von Verurteilungen. Doch das betrügerische Netzwerk funktioniert ungehindert weiter, denn laufend werden neue Geldwäscher rekrutiert.

Das Betrugssystem ist verblüffend einfach – und äusserst raffiniert aufgezogen (siehe dazu auch die Grafik «Geldesel: So funktioniert die Betrugsmasche»):

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Am Anfang sind Fake-Profile

Betrüger erstellen auf Facebook fiktive Profile mit fremden Profilbildern und geben als Wohnort eine Ortschaft in der Schweiz an. Mit den Profilen bieten sie dann Waren an, die sie gar nicht besitzen.

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Der Trick mit der Vorauskasse

Wer sich auf eines dieser Inserate meldet, erhält kurz darauf ein Bankkonto mitgeteilt, auf das man den Kaufpreis einzahlen soll. Käufer, welche die Ware abholen und bar zahlen wollen, erhalten zwar eine Privatadresse mitgeteilt. Doch auffallend oft wohnen die Verkäufer in entlegenen Orten und sagen das vereinbarte Treffen kurzfristig ab. Die Absicht ist klar: Der Käufer soll sich auf den Versand des Produkts einlassen – natürlich gegen Vorauskasse.

Foto: Infografik: Andrea Klaiber

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Money Mules rekrutieren

Die Akquirierung neuer Money Mules erfolgt meist über dubiose Facebook-Gruppen. Dort geben sich die Kriminellen unter Fake-Profilen als Finanzagenten aus und bieten Kleinkredite an. Wer sich darauf einlässt, muss ihnen seine Kontoinformationen und eine Kopie der ID schicken. Dann verlangen die Betrüger erst mal mehrere Hundert Franken Gebühren – aus dem Kredit wird nichts. Mit den Angaben auf den Identitätskarten erstellen die Betrüger weitere falsche Identitäten.

Eine Rekonstruktion solcher Pseudo-Kredit-Angebote zeigt: Plötzlich sprudelt tatsächlich Geld auf das Konto eines Kreditnehmers – meist wenige Hundert Franken. Was die Kontoinhaber nicht wissen: Es sind Erlöse aus anderen Online-Betrügereien. Die Kriminellen behaupten dann, die Gelder seien irrtümlich eingetroffen und müssten weitergeleitet werden. Oder sie verlangen weitere Gebühren. Oft bringen sie die Kontoinhaber sogar dazu, ihnen die E-Banking-Login-Daten weiterzureichen. So können sie die ergaunerten Gelder gleich selbst abheben.

Da es meist nur um geringe Beträge geht, setzen kantonale Ermittler ihre Prioritäten oft anderswo. Anders der Aargauer Staatsanwalt Adrian Schulthess, der Money Mules konsequent verfolgt. Er spricht von einem «Massengeschäft», die Zahl solcher Verfahren habe in den letzten Jahren stark zugenommen. «Inzwischen führen wir im Kanton Aargau pro Jahr über 100 Strafverfahren, mehr als doppelt so viele als noch vor wenigen Jahren.»

So wird man zum Geldwäscher: Whatsapp-Nachrichten, die mit einem dubiosen Kredit-Anbieter ausgetauscht wurden.
Foto: Beobachter

Seit einigen Monaten setzen die ausländischen Betrüger auf die Bezahl-App Twint. Um Vorauszahlungen zu tätigen, muss man kein Bankkonto mehr angeben, die Mobiltelefonnummer reicht. So können sie ihre Transaktionen verschleiern, und beim potenziellen Käufer steigt die Bereitschaft, den Kauf schnell und bequem abzuwickeln.

Bei Twint, einem Zusammenschluss verschiedener Schweizer Banken und Finanzinstitute, heisst es dazu: «Uns sind Fälle von Money Mules in Zusammenhang mit Twint bekannt – wir können aber nicht feststellen, dass die Anzahl solcher Fälle derzeit überproportional wächst.» Eine Auswertung des Beobachters von betrügerischen Verkäufen zeigt ein anderes Bild: Bei 30 aktuellen, gefälschten Inseraten hätte das Geld in rund einem Drittel der Fälle über Twint abgewickelt werden sollen. Vor einem Jahr war der Bezahldienst noch kaum ein Thema.

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Das Gesetz austricksen

Die Konten von Money Mules werden meist nur wenige Monate genutzt. Registriert eine Bank nach einer Kontoeröffnung fragwürdige Transaktionen, macht sie bei der Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) eine Verdachtsmeldung. Daraufhin muss MROS den Fall innert 20 Tagen beurteilen und ihn bei «begründetem Verdacht» einer kantonalen Staatsanwaltschaft weiterleiten. Erst dann darf eine Bank das Konto blockieren – für fünf Tage. Erfolgt in dieser Zeit keine Vermögenssperre durch eine Staatsanwaltschaft, muss die Bank das Konto wieder freigeben, und das Geld fliesst meist ins Ausland.

Bei der Bundesanwaltschaft sagt der Cyber-Verantwortliche Yves Nicolet zwar: «Für die Bekämpfung der Money-Mule-Netzwerke benötigen wir keine neuen gesetzlichen Regelungen.» Doch die Ermittlungen zwischen den Kantonen müssten besser koordiniert und der Infoaustausch schweizweit weiter ausgebaut werden.

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Das Geld fliesst ab

«Sitzen die Betrüger etwa in Benin, sind Ermittlungen aussichtslos», sagt der Aargauer Staatsanwalt Schulthess. Ermittlungen gegen sie würden in den meisten Fällen sistiert. Und für die Geprellten endet der Fall im Frust: Ihr Geld sehen sie nie wieder.

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