«30 Kinder haben mich umkreist und mit Steinen beworfen»
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Marco Riberio wurde gemobbt:«30 Kinder haben mich umkreist und mit Steinen beworfen»

Marco Ribeiro (18) aus Ilanz GR wurde jahrelang von seinen Mitschülern gemobbt
«Sie sagten, ich solle mich umbringen»

Der Bündner Marco Ribeiro wurde in der Schule von seinen Mitschülern gemobbt: Sie schlugen ihn zusammen, beleidigten ihn aufs Übelste. 2016 wollte er sich dreimal das Leben nehmen. Im Blick spricht er offen über seinen Horror als Mobbingopfer.
Publiziert: 25.10.2021 um 00:48 Uhr
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Aktualisiert: 25.10.2021 um 07:40 Uhr
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Marco Ribeiro aus Ilanz ist ein Mobbingopfer. Er wurde in der Schule von seinen Mitschülern zusammengeschlagen und als «Nuttensohn» bezeichnet.
Foto: Nathalie Taiana
Nicolas Lurati

Es ist ein widerlicher Fall von Mobbing, der im Oktober publik wurde: An einer Primarschule in Reinach AG sollen Kinder Mitschüler angespuckt und gar angepinkelt haben. Der Fall sorgte schweizweit für Schlagzeilen.

Mobbing ist ein Phänomen, das immer wieder vorkommt. Und die Opfer werden jünger. Dennoch ist es eine schwer zu fassende Problematik – zumindest was die Zahlenlage anbelangt: Es gibt kaum Mobbingstatistiken. Aber unzählige Betroffene.

Einer von ihnen ist Marco Ribeiro (18) aus Ilanz GR, Polygraf-Lehrling im vierten Lehrjahr. Der junge Bündner wurde über Jahre gemobbt. «Während meiner gesamten Schulzeit», wie er Blick erzählt. Diese Schulzeit hatte er in einer anderen Gemeinde im Kanton absolviert. «Es begann bereits in der ersten Klasse. Die Mitschüler schlossen mich aus. In der Pause war ich immer alleine. Und ich hatte keine Kollegen.»

«Ich wurde von 30 Kindern umzingelt»

Einen prägenden Vorfall erlebte er als Drittklässler. «Ich wurde von 30 Kindern umzingelt. Fünft- und Sechstklässler sowie Klassenkameraden.» Rund die Hälfte der Kinder, die ihn umkreisten, hätten dann mit Steinen nach ihm geworfen. «Ein Stein traf mich im Gesicht. Ich hatte starke Schmerzen und lag am Boden. Mein Klassenlehrer lief vorbei und sagte, ich solle nicht immer so ein Theater machen.»

Oder die Mitschüler stellten Ribeiro an einen Baum und drückten so fest auf seine Brust, bis er keine Luft mehr kriegte und ohnmächtig umfiel.

Immer wieder kamen auch verbale Demütigungen hinzu: «Sie nannten mich ‹Nuttensohn› oder ‹Scheiss-Psycho›. Oder sagten, ich solle mich ‹werfen gehen›, sprich selbst umbringen.» Zu Hause habe er nur wenig vom Mobbing erzählt. «Meine Eltern waren mit der Situation überfordert. Ich hatte das Gefühl, sie wollten mit dem Ganzen nichts zu tun haben.» Er macht seinen Eltern keinen Vorwurf. «Um sich selbst zu schützen, wollten sie nicht wahrhaben, wie sehr ich litt.»

«Die Lehrer schauten beim Mobbing gegen mich immer weg»

Keine Nachsicht hat Marco Ribeiro aber mit seinen Peinigern. «Eine Entschuldigung würde ich nicht akzeptieren. Neun Jahre lang haben sie nicht daran gedacht, sich zu entschuldigen. Jetzt müssen sie nicht mehr damit kommen.» Der angehende Polygraf erhebt auch Vorwürfe gegen die Lehrer: «Ich wurde regelmässig auf dem Pausenplatz zusammengeschlagen. Die Aufsicht griff nicht ein. Allgemein schauten die Lehrer beim Mobbing gegen mich immer weg. Oder machten mich gar zum Sündenbock.»

Weil die Peiniger nie mit dem Mobbing aufhörten, seine Eltern überfordert waren und die Lehrer wegschauten, hatte Ribeiro plötzlich das Gefühl, nicht erwünscht zu sein auf dieser Welt. Im Sommer 2016 beschliesst er, sich das Leben zu nehmen – dreimal innert weniger Monate. «Ich hatte jedes Mal einen Abschiedsbrief geschrieben.»

Fünf Jahre später lebt Ribeiro noch. Es gehe ihm gut, wie er sagt. Trotzdem: «Ich werde das Mobbing gegen mich nie vergessen. Ein- bis zweimal pro Woche hab ich Rückblenden, die mir durch den Kopf gehen. Die Erlebnisse von damals sind dann plötzlich wieder da.»

Das Schlechteste für Mobbingopfer: schweigen

Ribeiro wählt nun bewusst und aktiv den Weg an die Öffentlichkeit. «Denn ich wünsche, dass mehr und tiefgründiger über Mobbing gesprochen wird.»

Und er rät jungen Betroffenen, mit jemandem zu sprechen. «Über das Mobbing selbst – aber auch allgemein. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass man sich als Gemobbter schon über ein ‹Wie gehts?› von einem Aussenstehenden freut.» Eine solche Frage könne türöffnend wirken. Das Schlechteste für ein Mobbingopfer sei hingegen, wenn man mit gar niemandem spreche.

Mobbingopfer könnten sich auch bei ihm direkt melden, sagt Ribeiro. «Ich kann versuchen, ihnen zu helfen. Oder einfach als Person da sein, mit der man reden kann. Ich möchte den jungen Betroffenen Antworten auf ihre Fragen geben.»

Auf eine Frage hat Ribeiro jedoch bis heute keine Antwort: Warum er gemobbt wurde. «Ich weiss es nicht. Vielleicht, weil ich früher in die Pubertät kam als die anderen?» Sicher kein Grund sei seine Herkunft gewesen, sagt der Portugiese. «Denn die Mehrheit an der Schule waren Ausländer.» Kurz: «Eine schlüssige, einleuchtende Erklärung für das Motiv hab ich nicht.»

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