Leichtsinn abseits der Piste
Corona führt zu Skitouren-Boom – Rettungschefs alarmiert

Vier Skitourenfahrer haben Anfang Dezember in Saas-Fee VS zwei Lawinenniedergänge überlebt. Sie hatten mehrere grundlegende Regeln missachtet. Bergretter befürchten, dass sich wegen Corona vermehrt unerfahrene Sportler in Not bringen.
Publiziert: 16.12.2020 um 08:50 Uhr
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Aktualisiert: 21.04.2024 um 16:10 Uhr
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Carlo Danioth (53), Rettungschef in Andermatt UR: «Wir hoffen, dass die Leute einen Bergführer engagieren.»
Foto: Arno Balzarini
Georg Nopper

Skitouren sind wegen der Corona-Krise im Aufwind. Denn auf den Fellen kann man selbst bei geschlossenen Anlagen Sport treiben. Einige Skifahrer bewegen sich in Corona-Zeiten wohl auch lieber abseits der Pisten, um Menschenansammlungen zu meiden. Doch manche ahnen nicht, wie gross die Gefahr ist, in die sie sich begeben.

Vier Skitourenfahrer sprangen dem Tod Anfang Dezember in Saas-Fee VS gerade noch von der Schippe. Wie der «Walliser Bote» berichtet, wollten die Freunde aus Conthey VS und Neuenburg am 5. Dezember nachmittags zur Britannia-Hütte gelangen und wurden dabei von einer Lawine überrascht. Zwei Mitglieder der Gruppe wurden mitgerissen und verschüttet.

Simon Bumann (57) ist Informationschef des Führungsstabs Saas, der örtlichen Koordinationsstelle für die Blaulichtorganisationen, und Direktor der Saastal-Bergbahnen. Bumann kritisiert das Vorgehen der Gruppe scharf: «Dass sich die vier Skitourenfahrer trotz reichlich Neuschnee und erst noch am späten Nachmittag auf den Weg in Richtung Britannia-Hütte machten, war unverantwortlich.»

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Rettung nach einer Nacht im Schnee

Zwar konnten sich die Verschütteten wieder aus den Schneemassen befreien, doch die Ausrüstung war weg – der Rettungsdienst musste die Skitourenfahrer holen. Aufgrund der schlechten Verhältnisse war eine Rettung am gleichen Tag aber nicht mehr möglich. Deshalb mussten die Freunde eine Nacht in der Kälte ausharren. Sie bauten sich ein Iglu und suchten darin Schutz. Dann rollte eine zweite Lawine über sie hinweg und zerstörte das Iglu. Wie durch ein Wunder konnten die Skitourenfahrer am nächsten Tag lebend gerettet werden.

«Die Skitourenfahrer hatten riesiges Glück», sagt Bumann. «Leider rechnen wir damit, dass wegen Corona in dieser Saison vermehrt solche unerfahrenen Leute Skitouren unternehmen werden.»

Trend machte sich schon beim Lockdown bemerkbar

Carlo Danioth (53), Chef der Rettungsstationen Göschenen und Andermatt im Kanton Uri, sah die Tendenz bereits im Frühling. «Viele Leute sind beim Lockdown im Frühling auf Tourenski und Schneeschuhe umgestiegen. Diese sind zum Teil auch jetzt mit ihrer Ausrüstung unterwegs.»

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Mehr Leute bedeutet laut Danioth auch mehr Risiko, dass jemandem im ungesicherten Gelände etwas zustösst. Darunter vermehrt auch unerfahrene Skitourenfahrer und Schneeschuhläufer. «Wir hoffen, dass die Leute einen Bergführer engagieren und sich nicht ungeschult im Gelände bewegen und danach auch die Retter in Gefahr bringen.»

Auch im Kanton Graubünden sorgt der Skitouren-Boom für Gesprächsstoff. Matthias Gerber (50) ist Chef der Rettungsstationen Bergün und Davos. «Der Andrang von Skitourenfahrern wegen Corona ist auch bei uns ein Thema», sagt Gerber. «Insbesondere wenn die Skigebiete schliessen müssen, könnte das dazu führen, dass vermehrt unerfahrene Skitourenfahrer unterwegs sind.»

Bereits im Frühling sei der Andrang von Skitourenfahrern gross gewesen. «Das hatte zwar keine merklichen Auswirkungen auf das Unfallgeschehen, doch damals herrschten stabile Verhältnisse. Das ist derzeit nicht der Fall», sagt Gerber.

Neuschneemenge, Tages- und Jahreszeit

Anjan Truffer (46), Chef der Rettungsstation Zermatt, bestätigt die Tendenz: «Sportartikel-Veräufer berichten mir, dass sich Skitouren-Artikel seit einiger Zeit sehr gut verkaufen. Es kann sein, dass dieser Trend coronabedingt noch verstärkt wird.»

In dieser Saison habe er bisher nicht mehr Einsätze wegen Skitourenfahrern gehabt als sonst, sagt Truffer. «Dass sich vermehrt unerfahrene Skitourenfahrer abseits der Pisten bewegen könnten, ist sicher ein Thema. Aber solange die Bahnanlagen offen sind, dürfte sich das Problem in Grenzen halten.»

Die in Saas-Fee gerettete Skitouren-Gruppe verstiess gegen mehrere Grundsätze, wie Bergbahnen-Chef Bumann erklärt. «Bei einer Skitour gilt es im Vorfeld insbesondere zu beachten, dass nicht viel Neuschnee gefallen ist, der sich leicht in Bewegung setzen kann. Zweitens sollte man eine Skitour am Morgen unternehmen und spätestens am Mittag am Ziel ankommen, denn auch durch die Sonneneinstrahlung können sich Schneemassen lösen.» Drittens sollte man solche Bergtouren laut Bumann eher in der zweiten Winterhälfte unternehmen, wenn die Schneedecke dichter und stabiler ist. «In jedem Fall ist es ratsam, sich von einem Bergführer begleiten zu lassen.»

Tödliche Unfälle in den vergangenen Tagen

Im Fall der vier Freunde ist der Lawinen-Unfall glimpflich ausgegangen. Andere Skitouren nahmen in den vergangenen Tagen ein tödliches Ende. So konnten Rettungskräfte am Dienstag vergangener Woche einen Walliser (†73) nach einem Lawinenniedergang in Crans-Montana VS nur noch tot bergen. Seine Leiche wurde unter einer 1,5 Meter dicken Schneedecke gefunden. Der Mann war allein unterwegs gewesen und nicht mit einem Lawinenverschüttetensuchgerät ausgerüstet. 

Am vergangenen Sonntag kam ein Skitourenfahrer (†25) aus dem Kanton Nidwalden im Tessiner Bedretto-Tal ums Leben. Laut Angaben der Tessiner Kantonspolizei war auch er allein unterwegs und wurde von einer Lawine erfasst.

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